: Wirtschaftspartner im Wandel
China Börsencrash? Niedriges Wirtschaftswachstum? Alles Quatsch. Es gilt Chinas langfristige wirtschaftliche Entwicklung zu beurteilen
ist Rechtsanwalt und seit 13 Jahren in leitenden Positionen und als Berater für deutsche Unternehmen in China tätig. Er lebt und arbeitet in Peking und Berlin.
Die Berichterstattung über die wirtschaftliche Entwicklung in China in den letzten Wochen beschränkte sich im Wesentlichen auf die Turbulenzen an den Börsen sowie das wahrscheinlich geringere Wirtschaftswachstum – und griff damit viel zu kurz! Entscheidend sind vielmehr zwei langfristige Entwicklungen: die Positionierung Chinas auf den Weltmärkten und die Schaffung eines starken Binnenmarkts.
Es gilt endgültig von der Vorstellung Abschied zu nehmen, China sei ein technologisches Schwellenland. Das Gegenteil ist richtig. Innerhalb von nicht einmal 15 Jahren hat China in vielen wichtigen Branchen mit der westlichen Konkurrenz gleichgezogen. Riesige, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige Unternehmen entstanden und haben im Windschatten gigantischer Infrastrukturprojekte in Schwellenländern die dortigen Märkte erobert.
Der verzahnte Drache
Diese Entwicklung ist nicht zufällig, sondern Ergebnis einer strategisch weitsichtigen Industriepolitik: Unter Führung der Partei wurden seit Beginn der Öffnung Chinas alle Institutionen, die auf die Gestaltung einer aktiven Industriepolitik Einfluss nehmen können, sehr eng miteinander verzahnt. Dazu zählen alle Regierungs- und Verwaltungsebenen, Banken, Staatsunternehmen, das Rechtssystem und auch die wachsende Zahl „privater Unternehmen“, deren Führungspersonal oft Parteimitglieder sind. Dieses Netzwerk dient dazu, industriepolitische Planziele – wie den Aufbau international schlagkräftiger Unternehmen – in strategisch wichtigen Industrien umzusetzen. Damit haben die chinesischen Industriestrategen die Möglichkeit, schnell und flexibel sowohl marktzugangsbeschränkende, verzögernde Maßnahmen im eigenen Land zu ergreifen als auch eine große Dynamik bei dem Eintritt in neue Märkte zu entfalten.
Grundvoraussetzung für die Aufholjagd ist der Technologietransfer, den westliche Firmen in technologischen Schlüsselbereichen als Gegenleistung für den Marktzugang leisten müssen: Während China vor zehn Jahren nicht ansatzweise das Know-how hatte, Hochgeschwindigkeitszüge zu entwickeln, schicken sich die Unternehmen CNR und CSR an, Hochgeschwindigkeitszüge in den USA und Europa zu verkaufen. Die Deutsche Bahn hat bereits angekündigt, in China ein Einkaufsbüro zu eröffnen.
Der Gleichschritt von Politik und Wirtschaft zeigt sich in noch größerem Maße auf den Schwellenmärkten. Spätestens 2011 hatte China die USA als größten nationalen Handelspartner Afrikas abgelöst. Diese Entwicklung wird seit 2000 durch das Forum für China-Afrika-Kooperation (Focac) initiiert und flankiert. Das Gremium soll die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten stärken. Peking beschränkt sich dabei nicht auf den Import von Rohstoffen, sondern generiert durch Milliardenkredite Absatzmärkte für seine Produkte. Chinesische Unternehmen bauen mit chinesischen Arbeitnehmern nicht nur Straßen und Flugplätze, sondern liefern im Rahmen dieser Projekte landesweit moderne Telekommunikationsinfrastruktur und setzen Technologiestandards. Der besondere Charme dieses Engagements für die Machthaber in den afrikanischen Staaten liegt darin, dass China die Souveränität dieser Staaten achtet und sich nicht in deren inneren Angelegenheiten einmischt.
So ist in den letzten Jahren ein asymmetrischer Wettbewerb in Schlüsseltechnologien zwischen staatlichen beziehungsweise staatsnahen chinesischen Unternehmen auf den Weltmärkten einerseits und westlichen Firmen ohne staatliche Unterstützung andererseits entstanden. Chinesische Unternehmen werden auch in vielen anderen Kernbereichen – so zum Beispiel dem Maschinen- und Anlagenbau – sehr ernstzunehmende Wettbewerber deutscher Unternehmen werden.
Die gegenwärtigen Schwierigkeiten zeigen, dass China langfristig nur dann Erfolg haben wird, wenn es einen funktionierenden Binnenmarkt aufbaut. Zu einem solchen gehört nicht nur der wachsende Konsum innerhalb des Landes, sondern auch die entsprechenden Rahmenbedingungen: Es bedarf der Entwicklung eines auf Investitionssicherheit beruhenden staatsfernen Privatsektors, der auf klaren Regeln, Gleichbehandlung, Transparenz der Entscheidungsprozesse und Überprüfbarkeit der Verwaltung, der Gerichtsbarkeit sowie des Finanzwesens basiert. Hier liegt in China noch vieles im Argen, denn dieses würde ein gewisses Maß an Eigenständigkeit dieser Instanzen voraussetzen, damit aber in einem Spannungsverhältnis zu den Machtinteressen der Partei stehen. Unlösbar ist das Problem nicht, denn die Parteiführung hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie im Bereich der Wirtschaft sehr pragmatisch notwendige Reformen umsetzt.
Ein Schritt ist die Entscheidung, Staatsunternehmen zumindest teilweise zu privatisieren. Der Staat will sich auf Schlüsselbranchen konzentrieren. Entscheidend dabei wird sein, wie diese „Privatisierung“ in der Realität ausfällt. Einerseits wird die Kommunistische Partei ihren Anspruch auf das Machtmonopol vielleicht ein wenig einschränken und so Freiräume für die Weiterentwicklung der Privatwirtschaft schaffen, andererseits aber niemals auf ihre Führungsrolle verzichten. Deshalb werden rechtsstaatliche Elemente in der chinesischen Wirtschaftsverfassung nicht zwangsläufig zu einer nachhaltigen rechtsstaatlichen Entwicklung führen.
China als echte Alternative
Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass Reformen zur Schaffung eines wachsenden Binnenmarkts erfolgreich umgesetzt werden und die chinesische Wirtschaft nach Durchquerung einer Talsohle wieder erstarkt. Gelingt es China weiterhin, aufgrund seiner expansiven Industriepolitik die Weltmärkte zu erobern und gleichzeitig seinen Binnenmarkt zu entwickeln und zu stärken, würde dies bedeuten, dass es zu unserem auf Freiheit und Rechtsstaatlichkeit fußenden Wirtschaftssystem eine erfolgreiche wirtschaftliche und politisch staatsautoritäre Alternative geben würde.
Dieser Herausforderung müssen wir uns politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich stellen. Bisher sind nur Ansätze einer Diskussion erkennbar. Die Zeit läuft. Michael Stein
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