Der alte Meister: Drei Männer in Europa
Aus Straßburg kommt das Bild, drei ältere Herren in schicksalhafter Aufstellung.
Einer ist Luxemburger, die gelten als genussfreudig. Er mag Krawatten, weil man an denen so schön ziehen kann, und Diktatoren, weil man die so schön knuffen kann. Aber am liebsten mag er Küsse – und Einigkeit. Von beidem gibt es in seiner Union viel zu wenig, findet er. Und so küsst er den Mann, der vor ihm steht. Mitten auf die speckige Stirnglatze. So, dass es richtig laut schmatzen muss.
Dieser zweite Mann ist Deutscher. Im Grunde ist er ein ganz gemütlicher Kerl, schließlich ist es von seinem Heimatort aus auch nicht weit nach Luxemburg. Er hat mal versucht, gegen den ersten Mann eine Wahl zu gewinnen. Daraus wurde nichts, und gerade heute muss er mit dem anderen immer ganz furchtbar einig sein, damit Europa wenigstens noch ein bisschen funktioniert. So beugt er sich in teutonischer Stocksteifigkeit vor, um sich ganz dem väterlichen Stirnküsschen hinzugeben. Für Europa! Dabei in die Kamera zu schauen, bringt er nicht über sich. Und so schielt er dem anderen angestrengt ins Brusttaschendekolleté.
Der dritte Mann steht daneben. Er scheint nicht recht zu wissen, wohin mit sich: Sollte er nicht sich auf die beiden anderen werfen und laut „Say no to EU“ schreien? Oder will er vielleicht auch endlich mal einen Kuss ergattern? Doch er ist Brite. Und Rechtspopulist. Und außerdem hat er eine Frau. Eine deutsche Frau. Also tut er angewidert und kichert gehässig zur Seite.
Alles in diesem Bild ist Symbol. Die Hände: groß und zupackend. Die Anzüge: eine harmonische Farbabstufung von präsidialem Schwarz hin zu kotzbrockigem Graubeige. Die Gesichter: eins beseelt, eins beschämt, das dritte belustigt.
Was bleibt von Europa? Egal. Küsse, Demut, Einigkeit – mehr kann man sich nicht wünschen, derzeit. Johanna Roth
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