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Ein strahlendes Filmfest

Atomproblematik Eine Woche lang wird die Brotfabrik in Weißensee verstrahlt. Bis zum 30. September werden dort täglich mehrere Filme zum Uran-Themenkomplex gezeigt

von Felix Klickermann

Berlin und Uran haben einiges gemeinsam. 1789 entdeckte ein Berliner Wissenschaftler das Element und gab ihm seinen Namen. 1938 gelang anderen Wissenschaftlern in ihrem Labor in Berlin-Dahlem die Entdeckung der Kernspaltung. Die neue Energiequelle verbreitete sich schnell und veränderte alles.

Hunderte Atomkraftwerke wurden in der Folge weltweit gebaut. Und unzählige Atombomben mit einer unsagbaren Zerstörungskraft. In den kommenden Tagen werden Bomben wie diese in Berlin explodieren. Kernkraftwerke werden in der Hauptstadt in die Luft gehen. Radioaktiver Müll wird bei uns anfallen. Die katastrophalen Folgen werden hierzulande sichtbar. Aber zum Glück nur auf der Leinwand, beim Uranium Film Festival.

Eine ganze Woche lang wird die Brotfabrik in Weißensee verstrahlt. Bis 30. September werden dort täglich mehrere Filme zum Uran-Themenkomplex zu sehen sein. Zum Programm gehören insgesamt 33 „atomare“ Werke aus 16 Ländern in fünf Kontinenten. Organisiert wird das Festival von Norbert Suchanek und Marcia Gomes de Oliveira. 2008 drehten sie gemeinsam den Kurzfilm „The Speech of the Chief“ über das Leben der Mbyá in Brasilien, auf deren Land mehrere Atomkraftwerke gebaut wurden. Die beiden Regisseure stellten fest, dass es viele Filme dieser Art gab, allerdings meist ohne Plattform. So gründeten sie das Uranium Film Festival. „Unsere Veranstaltung soll bestimmten Filmen helfen, es auf eine größere Bühne zu schaffen“, sagt Suchanek.

Anfangs sollte es nur ein kleines jährlich stattfindendes Festival in Rio de Janeiro werden. Zwei Monate vor Beginn kam es dann im März 2011 zur Nuklearkatastrophe von Fukushima. „Plötzlich wurde ein vergessenes Thema wieder gegenwärtig“, so de Oliveira. „Über Nacht wurden wir unerwartet ein globales Festival, auf einmal kamen Anfragen aus den USA, Südafrika und Europa“, beschreibt die Professorin für Film und Cinematografie die damalige Situation. Seitdem verstrahlt das Uranium Film Festival die ganze Welt. Zu seinen Standorten gehören neben Brasilien auch Portugal, Indien, USA, Mexiko, Kanada, Japan und Deutschland. Thematisch beschränkt sich das Festivalteam nicht auf die Atomkraft, sondern versucht den Urankomplex soweit wie möglich abzudecken. „Wir möchten an alle Katastrophen erinnern und die gesamte atomare Kette vom Uranbergbau über die nukleare Medizin bis hin zum Uranabfall aufgreifen“, so Suchanek.

Über 300 Filme waren bislang Bestandteil des Festivalringes. Zu den Berliner Filmen in diesem Jahr gehört etwa der teilaniminierte Dokumentarfilm „Are Vah!“ (2014) von Micha Patault und Sarah Irion dazu. Die Dokumentation beschäftigt sich mit einem derzeit in Planung befindenden Kernkraftprojekt nahe dem indischen Dorf Jaitapur. Es soll die größte nukleare Anlage der Erde werden, mitten in einem Gebiet mit hoher seismischer Aktivität.

„Are Vah!“ wurde von der Festivalleitung in Rio bereits mit dem Yellow Oscar Award ausgezeichnet. Der Award ist ein Werk des brasilianischen Abfallverwertungskünstlers Ge­tú­lio Damado und besteht aus Müll, den er in den Straßen Rios sammelt. Jährlich werden vier bis fünf Yellow Oscars vergeben. Auch der in Berlin zu sehende Kurzfilm „Seven Years of Winter“ von Marcus Schwenzel gewann den Yellow Oscar. Die Geschichte handelt von einem 10-jährigen Waisenkind, das nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl mehrfach die dortige Todeszone betritt. Das Filmteam drehte tatsächlich einige Aufnahmen dort.

Für Jutta Wunderlich von der Berliner Festivalkoordination war die Katastrophe von Tschernobyl ein persönliches „atomares Schlüsselerlebnis“. Viel später, 2014, reiste sie mit ihrem Mann nach Rio de Janeiro und besuchte dort erstmals das Filmfest. Innerhalb der sechs Veranstaltungstage schaute sie sich alle 30 Filme an. „Es war anstrengend. Dennoch habe ich sehr viel gelernt und für mich stand gleich fest, dass ich die Veranstaltung zukünftig in Berlin koordinieren will.“ Wunderlich arbeitet seitdem täglich darauf hin, Berlin zum europäischen Hauptstandort des Events werden zu lassen.

Urankatastrophen sind ein unbequemes Thema, davon kann auch Anja Mewes von der Friedensglockengesellschaft viel erzählen. Der Verein ist Teil vom „Bündnis 6. August“, das alljährlich im Volkspark Friedrichshain eine Gedenkveranstaltung anlässlich der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki organisiert. Auch dieses Jahr kamen Hunderte Menschen zusammen, Jüngere waren aber kaum dabei.

„Wir kämpfen gegen das Vergessen“, so Mewes. Auch de Oliveira vom Festival bemerkt, dass selbst das Thema Fukushima mittlerweile wieder aus dem Fokus gerät. Seit Kurzem unterstützen sich die Gruppen gegenseitig bei Projekten an Berliner Schulen.

www.uraniumfilmfestival.org/de

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