In der Kastanienallee: Kartoffelwerfer
Es ist einer dieser raren tropischen Sommernächte in Berlin. Ich sitze auf der Bank vor einem Kiosk in der Kastanienallee, trinke ein schönes kaltes Bier. Nach wenigen Minuten beschimpft auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein etwas verwahrloster älterer Mann die Passanten. Er sitzt auf der Vormauer eines Restaurants und schreit: „Ihr seid alle ein geldgieriges und verlogenes Dreck Scheiße. Und du und du und du bist ein Arschloch. Und ihr da, ihr seid ein Scheißpaar. Hört ihr, das sehe ich euch doch an: Mit Liebe hat das alles nichts zu tun. Ihr gottverdammten Heuchler.“
Der etwas ältere Herr schimpft, und die angeschimpften Passanten versuchen, so gut es geht, ihren Beleidiger zu ignorieren. Plötzlich wirft irgendjemand Kartoffeln auf den Schreier. Ich stehe auf und sehe, wie ein geschniegelter Typ von seinem schicken Balkon aus eine Kartoffel nach der anderen Richtung Schreier wirft. Dieser junge Mann sollte jedoch noch ein wenig an seiner Wurftechnik arbeiten, denn eine Kartoffel trifft einen Gast, der hinter dem Schreier auf der Terrasse des Restaurants sitzt, mit voller Wucht an der Schulter.
Der Getroffene, der ebenso gepflegt und herausgeputzt wie der Typ vom Balkon aussieht, ist aufgebracht, lässt seine hübsche Freundin allein am Tisch zurück, überquert die Straße und beschimpft nunmehr den Kartoffelwerfer auf dem Balkon: „Du blödes Arschloch. Warum wirfst du hier mit Kartoffeln um dich. Komm runter. Dann haue ich dir eine in die Fresse.“
Der Typ vom Balkon schreit zurück: „Halt du das Maul. Warum regst du dich jetzt hier so auf. Du blödes Arschloch.“ Nach ein paar weiteren wüsten Beschimpfungen beenden die zwei piekfeinen jungen Herren ihr Streitgespräch. Aber auf dem Gesicht des Schreiers konnte man jetzt ein sehr feines Lächeln erkennen. Schon lange hatte er mit dem Schreien aufgehört. Er schien sehr zufrieden mit sich zu sein. Alem Grabovac
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