: Baukunstund Emotionen
Architektur Das diesjährige Doku.Arts-Festival hinterfragt die Wirkungenvon Architektur auf den Menschen
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von Carolin Weidner
Gleich zu Beginn muss Phyllis Lambert ein Missverständnis aufklären: Teri Wehn-Damisch, Regisseurin von „Citizen Lambert: Joan of Architecture“, hat ihren Film mittels eines Alphabets angelegt. Der erste Buchstabe „A“, klar, steht für „Architecture“. Nicht? Lambert verbessert: „A“ muss in ihrem Fall auf „Art“ zeigen. Denn schon als kleines (sehr wohlhabendes) Mädchen wollte Lambert eher Künstlerin als Architektin werden. Bezeichnend, dass jene Auffächerung so früh im Film stattfindet. Sie ist wesentlich für die Wesensstudie, die im Laufe des Films entstehen soll. Denn Teri Wehn-Damisch interessiert es schon, wie Lambert bereits als junge Frau dazu kam, gemeinsam mit Mies van der Rohe an einem der berühmtesten New Yorker Wolkenkratzer zu arbeiten – dem Seagram Building. Lamberts Einwand passt aber auch zum Programm der diesjährigen Doku.Arts im Zeughauskino (9.–27. 9.), das unter dem Schirm der „Architectures in Motion“ steht und in dessen Rahmen „Citizen Lambert: Joan of Architecture“ zu sehen sein wird. Übrigens hat sich zur Vorführung am 11. 9. nicht nur Teri Wehn-Damisch angekündigt, sondern auch Phyllis Lambert. Sie wurde letztes Jahr auf der Architekturbiennale in Venedig mit einem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.Mit dem kann Geng Yanbo eher nicht rechnen. In „The Chinese Mayor“ von Zhou Hao ist weniger große Baukunst zu bewundern als eine Form von Gigantismus. Doch nicht nur durch ihn wird „The Chinese Mayor“ sehenswert: für diesen Dokumentarfilm könnte man die Doku.Arts-Losung gut umdichten in „Architectures in Emotion“. Denn der Film arbeitet sich sanft und stückchenweise zum psychischem Epizentrum Geng Yanbos vor. Nicht gerade wenige Jahre hat Zhou Hao hierfür benötigt. Jahre, in denen er zum akzeptierten, also bald unsichtbaren Element in dessen Sichtfeld geworden ist. Gegen Ende von „The Chinese Mayor“ fragt Geng Yanbo: Was hast du alles gefilmt? Ich habe es gar nicht bemerkt. So sind Aufnahmen zu erklären, in denen der chinesische dann Nicht-mehr-Bürgermeister weinend in seiner Limousine sitzt. Fünf Jahre war Yanbo als Bürgermeister des nordchinesischen Datong aufgetreten. Sein Vorhaben: Datong, das nur wenige hundert Kilometer von Peking entfernte Kohleherz, zur kulturellen Vorzeigestadt umzubauen. Für eine halbe Million Menschen bedeutete das die Umsiedlung. Zum Zeitpunkt des emotionalen Einbruchs ist Yanbo kein Bürgermeister mehr. Und einige der vormaligen Blockbewohner stehen nach dem Abriss ihrer Häuser mit leeren Händen und ohne Dach über dem Kopf da. Sie protestieren für seine Rückkehr. Ein Moment, reich an Ambivalenz.
Von Abriss kann in „Saving Mes Aynak“ keine Rede sein. Hier geht es um Zerstörung. Obschon für eine Art „Neubau“ gesorgt ist. Unter Mes Aynak, einer im Südosten Afghanistans gelegenen Ruine eines buddhistischen Klosterkomplexes, lagert Kupfer im Wert von 100 Milliarden Dollar. Ein chinesisches Unternehmen möchte den Abbau starten, während die in Mes Aynak tätigen Archäologen auf ein Eingreifen wenn nicht des Staates, so doch der Weltgemeinschaft hoffen. „Saving Mes Aynak“ von Brent E. Huffman ist also nicht nur Dokumentar-, sondern auch Kampagnenfilm. Neben der Spannung zwischen kulturellem Erbe und Rohstoffjagd handelt „Saving Mes Aynak“ aber auch von der Bedrohung durch die Taliban. Die Sprengungen der riesigen Buddha-Statuen von Bamiyan, im Jahr 2001 von diesen vorgenommen, deuten die Mes-Aynak-Archäologen als reale Bedrohung der Stätte, deren Bedeutung Experten mit jener Pompejis vergleichen. So wird „Saving Mes Aynak“ zum Dokument unvereinbarer Interessen, deren Ausgang nach dem Kräfteprinzip entschieden wird. Der Film stimmt traurig. Er zeugt auf Seiten der Archäologen aber auch von einer großen Wertschätzung gegenüber dem kulturellen Artefakt. Das verbindet sie mit Phyllis Lambert. Und auf bizarrere Weise auch mit Geng Yanbo.
Doku.Arts: Zeughauskino, Unter den Linden 2, 9.–27.9., www.doku-arts.de
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