MITBESTIMMUNG Was wäre, wenn Bürger*innen die politischen Rahmenbedingungen der Ökonomie in Konventen erarbeiten und per Volksentscheid darüber abstimmen könnten?
: Eine neue Wirtschaftsordnung von unten
Die Gemeinwohl-Ökonomie will über partizipative Prozesse die gegenwärtige Ökonomie vom Kopf auf die Füße stellen: Nicht länger der Profit, sondern die Förderung des Gemeinwohls soll im Zentrum allen Wirtschaftens stehen. Vordenker dafür Christian Felber, Mitbegründer von attac Österreich, der vor etwa fünf Jahren das Modell zusammen mit einem guten Dutzend Unternehmer*innen startete.
Die Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie findet mittlerweile in etwa 40 Ländern Resonanz – neben Österreich, Deutschland, der Schweiz, Italien und Spanien auch in Argentinien, Kolumbien, Mexiko und Großbritannien. Zu ihr bekennen sich inzwischen gut 6.000 Privatpersonen, mehr als 200 Organisationen sowie über 1.800 Unternehmen und einige Gemeinden, etwa in Südtirol oder Spanien. In diesen Kommunen sollen demokratische Verfassungsprozesse und Wirtschaftskonvente von unten organisiert werden, die am Ende zu einer neuen Wirtschafts-, Geld- und Gesellschaftsordnung führen können.
Die beteiligten Betriebe erstellen eine Gemeinwohl-Bilanz, in der sie auflisten, ob und wie sie Werte wie Demokratie, Solidarität, Menschenwürde, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit befördern. Dies wird mit Positivpunkten bewertet und auf Wunsch extern überprüft. Das Unternehmen kann sich dann in seiner Außendarstellung mit dem Logo der Bewegung schmücken – dem Samen einer Pusteblume. Kunden und Käuferinnen können daran erkennen, dass sie es mit einem Betrieb zu tun haben, der das Gemeinwohl fördert.
www.ecogood.org
TTIP, Tisa und Ceta – hier zeigt sich exemplarisch der enorme Einfluss von Konzernen und Lobbygruppen. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Parlamentarier*innen während der Verhandlungen sind minimal und könnten nach Vertragsannahme noch drastischer reduziert sein – Stichwort Schiedsgerichte. Die Bürger*innen müssen ohnmächtig zusehen und reagieren mit Politikverdrossenheit – sinkende Wahlbeteiligung oder gar ein Abdriften in politische Extreme sind die Folge.
Diametral entgegen der Zielrichtung von „TTIP & Co“ steht das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie für einen Wirtschaftskonvent: Die Bevölkerung als Souverän wählt Vertreter*innen, die Vorschläge für die Rahmenbedingungen zukünftigen Wirtschaftens entwickeln. Im Verlauf des Konventsprozesses können die Bürger*innen jederzeit Eingaben machen und am Ende über die ausgearbeitete Vorlage abstimmen.
Die Gemeinwohl-Ökonomie schlägt vor, dass der demokratische Souverän, die wahlberechtigte Bevölkerung, über direkt gewählte Vertreter*innen Vorschläge für die Rahmenbedingungen zukünftigen Wirtschaftens entwickeln soll. Am Ende des Konventsprozesses stimmen die Bürger*innen dann über die ausgearbeitete Vorlage ab. Bei Annahme geht die neue Wirtschaftsordnung als Teil in die Verfassung ein und kann nur wieder vom Souverän selbst geändert werden. Dies alles setzt natürlich die ohnehin längst überfällige Verankerung bundesweiter Volksentscheide im Grundgesetz voraus. Der Prozess könnte jedoch mit regionalen Wirtschaftskonventen beginnen und dann auf die Landes- und Bundesebene ausgedehnt werden.
Was an den Rahmenbedingungen zukünftigen Wirtschaftens geändert werden müsste, dazu gibt es nicht nur von Seiten der Gemeinwohl-Ökonomie durchaus konkrete – wenn auch längst nicht ausdiskutierte – Vorschläge. Diese reichen von der Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit über die Einrichtung von demokratischen Allmenden – also Gemeinwirtschaftsbetrieben im Bereich der Daseinsvorsorge – bis hin zur Festlegung von Höchstgrenzen für Einkommen und Vermögen.
Der wichtigste Vorschlag der Gemeinwohl-Ökonomie ist natürlich die Idee, dass zukünftig alle Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz vorlegen sollen. Sofern dieses Konzept die Zustimmung der gewählten Vertreter*innen im Wirtschaftskonvent und letztlich der Bevölkerung findet, könnte auch der Kriterienkatalog, der bei der Gemeinwohl-Bilanzierung zugrunde gelegt wird, vom Wirtschaftskonvent erörtert und daraufhin direktdemokratisch legitimiert werden.
Ein große Vision also – mit ebenso großem Veränderungspotenzial. Und die Veränderung hat bereits begonnen: Neben den über 250 Unternehmen, die eine Gemeinwohl-Bilanzierung vorgelegt haben, interessieren sich auch in Deutschland erste Gemeinden für dieses Modell. Sie könnten auf regionaler Ebene so etwas wie ein Katalysator für den Konventsprozess darstellen.
Wie aber kann man die Umsetzung dieser Idee vorantreiben, wie das Konzept weiterentwickeln?
Spielerisch! Das jedenfalls ist die Antwort der Berliner Arbeitsgruppe. Dort wird ein Planspiel entworfen, bei dem der Ablauf eines Wirtschaftskonvents gewissermaßen geübt werden kann. Wer mitspielen – und mitmachen – will, ist herzlich eingeladen, eine Mail an berlin@gemeinwohl-oekonomie.org genügt. Außerdem gibt es zum „Wirtschaftskonvent-Modell“ einen Workshop im Rahmen des kommenden Kongresses SOLIKON2015. Thomas Deterding
Der Autor ist Vorstandmitglied im Verein Gemeinwohl-Ökonomie Berlin-Brandenburg e. V.