Der Staat finanziert die Bremser

Kommentar Subventionen stützen Großunternehmen. Ohne politische Kämpfe wird eine gerechtere Verteilung nicht gelingen

Fabian Scheidler

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geboren 1968, ist Autor für Printmedien, TV, Theater und Oper, Mitbegründer des Online-Magazins Kontext TV und aktiv bei Attac. 2015 erschien sein Buch „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“.

Angesichts von Klimachaos, globalen Finanzkrisen und Massenarmut brauchen wir, darüber sind sich immer mehr Menschen einig, eine tiefgreifende sozialökologische Transformation, die alle Gesellschaftsbereiche erfasst.

Längst gibt es eine kaum überschaubare Fülle von Konzepten und Praktiken für diesen Wandel, doch bisher kommen sie über gesellschaftliche Nischen kaum hinaus. Warum ist das so? Sind sie nicht tauglich für eine größere Transformation? Sind sie ökonomisch nicht tragfähig? Ein oft unterschätzter Grund dafür, dass wir in destruktiven Strukturen verharren und sich das sozial und ökologisch Sinnvolle nicht durchsetzt, liegt darin, dass Staaten systematisch das Falsche subventionieren. Das geschieht sowohl auf direkte, offene Weise, als auch auf versteckten und indirekten Wegen.

Die Öl-, Erdgas- und Kohleindustrie etwa erhält selbst nach den ausgesprochen konservativen Schätzungen der Internationalen Energieagentur weltweit jedes Jahr Subventionen von mindestens 544 Milliarden Dollar.

Mit einem Bruchteil dieser Gelder ließe sich eine Umstellung auf dezentrale erneuerbare Energien finanzieren. Die Auto- und Luftfahrtindustrie wird vor allem dadurch massiv gefördert, dass sie nicht für die von ihr verursachten Umwelt- und Klimaschäden haften muss. Und während die Straßen mit paramilitärischen Spritschluckern geflutet werden, die steuerlich durch das Dienstwagenprivileg bevorzugt werden, finden die Verkehrsbetriebe in Berlin keine Straßenbahnfahrer mehr, weil sie zu schlecht bezahlt werden.

Auch das industrielle Agro-Business, das weltweit für etwa ein Drittel der Treibhausgase und für eine rapide Zerstörung von Böden und Süßwasservorräten verantwortlich ist, wird massiv subventioniert. Allein die EU lässt dafür rund 100 Milliarden Euro pro Jahr springen. Dabei wissen wir längst, dass eine kleinbäuerliche biologische Landwirtschaft auf Dauer mehr Menschen ernähren kann als die industrielle. Angesichts dieser Zahlen erweist sich die Rede von den „freien Märkten“ als Mythos. Tatsächlich ist die kapitalistische „Megamaschine“ nur noch funktionsfähig, weil der Staat ihre Hauptprofiteure am Leben erhält.

Eine zentrale Rolle bei den gegenwärtigen Fehlsteuerungen spielt das Bankensystem, das selbst nur durch Subventionen in Billionenhöhe noch existiert. Allein die Rettung der deutschen Banken hat seit 2008 rund 100 Milliarden Euro gekostet – das ist ein Drittel des gesamten Bundeshaushalts. Großbanken sind aber auch schon im regulären Betrieb problematisch, weil sie Kredite nach einer einzigen Maßgabe vergeben: dem maximalen Profit. Das bedeutet, dass in der Regel Investitionen gefördert werden, bei denen soziale und ökologische Kosten erfolgreich auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Was dem ­Gemeinwohl dient, wirft oft weniger oder keine Rendite ab und bekommt daher keinen Kredit. Hinzu kommt, dass Großbanken aufgrund ihrer Struktur Großprojekte vorziehen, weilsie rentabler sind. Eine dezentrale Entwicklung (small is beautiful!) wird auf diese Weise blockiert.

Wir brauchen ein Geld- und Finanzsystem, das nach grundlegend anderen Kriterien operiert – inklusive anderer Rechtsformen und Eigentumsstrukturen. Genossenschaftsbanken und teilweise auch Sparkassen bieten dafür einige Ansätze. Aber sie bleiben Nischen, solange sie im Schatten der hochsubventionierten Megabanken stehen.

Denen die Unterstützung zu entziehen bedeutet, sie im sehr wahrscheinlichen Fall erneuter Finanzkrisen nicht mehr oder nicht mehr bedingungslos zu retten. Es gibt bereits jetzt die rechtlichen Möglichkeiten, gestrauchelte Großbanken zu zerlegen, existenziell wichtige Einlagen wie Renten zu sichern und andere Gläubiger in den wohlverdienten Konkurs zu schicken. Was von den Banken übrig wäre, ließe sich in Rechtsformen überführen, die dem Gemeinwohl und nicht dem Profit der Shareholder verpflichtet sind. Solche Finanzinstitute könnten dann Gelder für den Umbau des Energiesystems, des Transportwesens und der Landwirtschaft auf nachhaltige Strukturen bereitstellen.

Mit andere Worten: Wir brauchen langfristig einen vollkommen neuen Rahmen für ökonomisches Handeln, der dem Gemeinwohlprinzip grundsätzlich Vorrang gibt vor dem Profitprinzip. Utopie? Vielleicht. Aber die Fortführung des gegenwärtigen Systems ist mindestens ebenso utopisch. Eine solche tiefgreifende Transformation kann nicht ohne große politische Kämpfe gelingen. Wenn die Alternativen ihre Nischen verlassen und eine systemische Schwelle erreichen sollen, dann ist auch mit wachsendem Widerstand der mächtigen Interessengruppen zu rechnen.

Das Geschäftsmodell der Bremser beruht auf der Ruhe und Apathie der Bürger*innen, auf einer Stimmung der Postdemokratie. Gönnen wir ihnen diese Ruhe nicht. Fabian Scheidler