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Neue alte Nachbarschaften

Vielfalt Riesiges Interesse: Erstmals nahm am Samstag die Synagoge am Kreuzberger Fraenkelufer an der Langen Nacht der Religionen teil – bewegend auch für die Mitglieder der sich verändernden Gemeinde

von Alke Wierth

Itai Axel Böing hat die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Ruhig steht der Mann mit den kurzen schwarzgrauen Haaren, obenauf die Kippa, und hört wie die anderen Gäste der Synagoge am Fraenkelufer auf den Chor. Der singt zum Abschluss der Zeremonie am Ende des Schabbat jüdische Lieder, auf Hebräisch, Englisch, Deutsch. Der lange schmale Sakralraum der Synagoge ist rappelvoll, viele Gäste müssen stehen, dennoch herrscht konzentrierte Ruhe. Zum ersten Mal nahm das bald 100 Jahre alte jüdische Gotteshaus am Fraenkelufer am Wochenende an der Langen Nacht der Religionen teil und lud NachbarInnen und Interessierte zu diesem Besuch am Ende des Schabbatabends ein.

Böing wirkt, wie er da steht, ganz ruhig. Doch hinter seinem Rücken sind seine Hände in ständiger Bewegung, die eine knetet die andere, die andere versucht, die eine ruhig zu halten. Böing ist einer von vier Guides, die BesucherInnen, oft Schulklassen, durch die traditionsreiche Synagoge führen. Gefragt, ob dieser erste offene Abend dennoch für ihn etwas Besonderes gewesen sei, ringt er mit der Fassung. „Angerührt“ habe es ihn, sagt Böing, „dass so viele Menschen Interesse hatten, hierherzukommen“.

Tatsächlich stehen immer noch Menschen in der Schlange vor der Tür der Synagoge, als kurz vor 22 Uhr der offene Abend fast zu Ende ist. Es sei ja nicht selbstverständlich und es habe nach 1945 niemand damit gerechnet, dass es je wieder aktives jüdisches Leben und größere Gemeinden in Deutschland geben würde, „im Land der Völkermörder, muss man ja leider sagen“, hatte Böing zuvor in seinem Vortrag über die Geschichte der Kreuzberger Gemeinde gesagt.

Einst bot das im Krieg zerstörte Hauptgebäude der alten Synagoge Platz für 1.000 Beter und 1.000 Beterinnen. Und alle Plätze seien bei der Einweihung 1916 besetzt gewesen, so Böing. Nach Krieg und Holocaust lebten von den zuvor 6.000 Kreuzberger JüdInnen noch 400 – die meisten von ihnen hätten überlebt, weil sie von NachbarInnen versteckt wurden, so Böing. Er selbst gehört der Gemeinde seit 1999 an: „Das war eine Zeit, als ich dachte, dieses Haus muss bald schließen.“ Nur noch „ältere Herren“ seien zum Gottesdienst gekommen, „von denen kaum noch jemand in der Nachbarschaft wohnte“.

Lange Nächte, viel Interesse

Rund 10.000 Menschen ließen sich am Samstag in der vierten Langen Nacht der Religionen Einblicke geben in die Riten und den Glauben verschiedener Gemeinden der Stadt. 93 Gotteshäuser hatten ihre Türen geöffnet. Das Programm startete und endete mit einem gemeinsamen Gebet am Gendarmenmarkt.

Zeitgleich fanden sich bei der 35. Langen Nacht der Museen laut Veranstalter rund 25.000 Besucher ein – 5.000 mehr als im Vorjahr. (dpa)

Das ändert sich gerade: Auf 10.000 bis 30.000 wird die Zahl vor allem junger Israelis geschätzt, die in den vergangenen Jahren nach Berlin zogen. Viele von ihnen leben in Neukölln und Kreuzberg. Sie beleben auch die alte Gemeinde am Fraenkelufer neu. Dem Verein „Freunde des Fraenkel­ufers“, den die neuen Mitglieder gegründet haben, um das jüdische Leben in Kreuzberg und Neukölln zu beleben und stärker mit dem Kiez zu verknüpfen, gehört auch Itai Böing an. Die neue Vielfalt in der Gemeinde, die Vielfalt des sie umgebenden Wohngebiets lasse neue Begegnungen, neues Zusammenleben möglich erscheinen: „Sie können in einem Orientrestaurant an der Sonnenallee in der Schlange warten und erleben, dass vor Ihnen Hebräisch, hinter Ihnen Arabisch gesprochen wird“, sagt Böing: Hier könnten sich die „sonst verfeindeten Religionen“ mit wenig Problemen miteinander verständigen.

Und auch die Gemeinde selbst ändert sich: Nicht nur die Teilnahme an der Langen Nacht der Religionen war eine Premiere, sondern auch der Auftritt des gemischten Chors. Normalerweise sei die Synagoge eher traditionell, hatte Mitglied Nina Peretz zuvor erklärt: Männer und Frauen säßen beim Gottesdienst getrennt. Anderes hat sich bislang wenig geändert. Die bleiverglasten bunten Fensterscheiben des Gebetsraums sind von innen mit zentimeterdickem Panzerglas verstärkt. In einem kleinen Container gegenüber der Synagoge halten PolizistInnen Tag und Nacht Wache.

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