Mode Lisa Muhr, Pionierin der Gemeinwohl-Ökonomie, über die Wirkungen einer umfassenden Bilanz: „Ein wertvoller Spiegel für ein Unternehmen“
INTERVIEW Andreas Giselbrecht
taz.zum wandel: Unternehmen, die sich zur Gemeinwohl-Ökonomie bekennen, erstellen eine Gemeinwohl-Bilanz, die extern geprüft und bewertet wird – Positivpunkte gibt es etwa für die Verwendung regionaler und ökologischer Rohstoffe, Beteiligung von Frauen, Mitbestimmung und Mitbesitz der Belegschaft. Was verändert das in einem Unternehmen?
Lisa Muhr: Es ist ein Anstoß, sich in eine ethische Richtung zu bewegen, Teamstrukturen und Partizipation in einem Betrieb einzuführen. Wir machen das jetzt zum dritten Mal und haben das Gefühl, es gelingt uns immer besser. Die Gemeinwohl-Bilanz ist der wertvollste Spiegel, den man einem Unternehmen vorhalten kann. In der Beschäftigung damit, wie der eigene Betrieb arbeitet, erkenne ich Möglichkeitsfelder, entdecke neue Seiten und bekomme Ideen, die ohne diesen Prozess nicht gekommen wären. Das ist sehr wertvoll, denn für Innovationen und Zukunftsstrategien müsste ich sonst in teure Seminare oder Beratungsleistungen investieren.
An der Erstellung der aktuellen Bilanz haben Sie viele Beschäftigte beteiligt. Wie hat sich das ausgewirkt?
Der Gemeinwohl-Bericht ist ein völlig buntes und unzensiertes Bild unseres Unternehmens. Für mich als Co-Geschäftsführerin ist es auch schön zu erleben, dass sich unsere Belegschaft eigenständig und intensiv mit Betriebsabläufen auseinandersetzt. Das hilft uns enorm, die faire Produktion lebendig ins Unternehmen zu integrieren.
In der normalen Wirtschaft gibt es Nachhaltigkeitskonzepte wie „Corporate Social Responsibility“, „Codes of Conduct“. Wie beurteilen Sie die?
Diese Verhaltenkodizes liefern Ansätze, über Nachhaltigkeit nachzudenken. Aber weil sie freiwillig sind, besteht die Gefahr, dass Konzerne sie als Greenwashing missbrauchen. Wir brauchen aber Verbindlichkeit. Im ersten Schritt wünsche ich mir eine europäische Lösung in Form eines „Code of Products“. Wir sollten selbstbewusst definieren, welche Minimalstandards gelten sollten – etwa Arbeitsbedingungen, wie sie die UN-Arbeitsorganisation ILO definiert, oder die Vermeidung von Gensaatgut, Schwermetallen und Chemikalien in Produkten.
Die Wienerin ist Co-Geschäftsführerin von „Göttin des Glücks“. Das 2005 gegründete Unternehmen produziert und verkauft mit seinen 22 Beschäftigten Fair-Trade-Mode in sieben Ländern, sechs eigenen Geschäften und circa 80 Boutiquen und Weltläden. 2015 verfasste es seine mittlerweile dritte Gemeinwohl-Bilanz.
Wenn diese Bedingungen nicht eingehalten werden, sollten Produkte und Dienstleistungen nicht importiert oder angeboten werden dürfen. Zudem sollten die komplette Herstellungskette und alle Zutaten zu einem Produkt sichtbar gemacht werden. Das wäre ein Richtungswechsel – weg von der gedankenlosen Konsum- und Wegwerfkultur auf Kosten von Menschen und Umwelt hin zu einer werteorientierten Reparatur- und Dienstleistungsgesellschaft. Das globale Preisgefüge würde sich schlagartig ändern und Europa als Produktionsstandort neue Attraktivität gewinnen. Das alles würde Transportwege verkürzen und Jobs schaffen. Die Produkte hätten zwar einen höheren Preis. Aber dafür würden die Menschen weniger und dafür qualitativ Besseres kaufen oder Dinge, die kaputtgegangen sind, wieder reparieren lassen.
Was ist aus der Crowdfunding-Kampagne geworden, mit dem Ihr Unternehmen „Göttin des Glücks“ eine regional produzierte Leinenkollektion auf den Markt bringen wollte?
Das ist eines unserer schönsten Projekte des Gelingens: Wir leisten damit einen Beitrag zur regionalen Wertschöpfung und schaffen eine Ergänzung zu unserer Bio- und Fairtrade-zertifizierten Baumwolle. Das Leinen kommt aus Frankreich, wird in Österreich gewebt und gefärbt und bei der „Volkshilfe“ in Wien genäht. Darauf sind wir stolz, weil wir damit endlich auch einen Beitrag zur Relokalisierung der Wirtschaft leisten können und zeigen, dass so etwas möglich ist.
Der Interviewer macht Öffentlichkeitsarbeit für die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ)
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