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„Klausi lebt immer noch“

Sommerserie Großstadt-Dschungel (8) Der Fisch ist unser beliebtestes Haustier. Allein in Berlin sollen eine Million Zierfische ihre Runden im Glas drehen. Auch Nicola Schwarmeier taucht regelmäßig in ihre Welt ein

Aufgeschrieben von Helmut Höge

Der Zierfisch ist das beliebteste Haustier der Deutschen. Etwa 80 Millionen leben in rund 3,2 Millionen Aquarien. Allein in den Berliner Aquarien sollen es laut dem Tierschutzbericht weit über eine Million Zierfische sein.

Der in Charlottenburg lebende Tierarzt Jan Wolter hat sich auf ihre Leiden spezialisiert. Gegenüber dem Spiegel klagte er: „Es gibt kaum noch Zierfische, die wirklich gesund sind. Die Tiere sind mit Medikamenten vollgepumpt und haben teilweise eine Lebenserwartung von nur noch vier bis acht Wochen.“ Ähnlich äußerte sich Sandra Altherr von der Tierschutzorganisation Pro Wildlife: „Mehrere hundert Millionen Zierfische pro Jahr werden von deutschen Aquarien-Besitzern regelrecht verbraucht.“

Seit der Eröffnung des ersten Schauaquariums im Londoner Zoo 1853 und bis zu den großen Aquarienhäusern, die um 1900 in den meisten Industrieländern entstanden, entwickelte das Publikum eine regelrechte „Aquariums-Manie“. Gegenwärtig soll die Attraktivität von Aquarien sogar noch steigen, was im Zusammenhang mit „der Konjunktur einer Ästhetik des Prozessualen, Performativen, des Bewegten und Liquiden“ stehe, wie die Kunstwissenschaftlerin Ursula Harten in ihrem 2014 veröffentlichten Prachtband „Aquaria“ schreibt.

„Ich wollte Fische haben“

Diese Konjunktur erfasste im selben Jahr auch die Sitemanagerin Nicola Schwarzmaier: „Ich wollte schon immer gerne Fische haben. Im Urlaub am He­rault, einem französischen Fluss, haben wir zum Beispiel kleine Fische gefangen und in einem Eimer gehalten. Aber für Fische in einem Aquarium zu Hause zu sorgen, dass hat man mir damals nicht zugetraut. Ich war da ja erst acht.

Erst mit Mitte zwanzig habe ich mir ein kleines, ich nenne es elektrisches Aquarium, gekauft, fast so schmal wie ein Flachbildschirm. Das hat mir aber nicht gefallen. 2014, zu meinem 32. Geburtstag hatte ich für die Feier das Motto „Sushi“ ausgegeben, weil ich das so gern esse. Alle hatten sich dementsprechend verkleidet. Ein Mitbewohner schenkte mir dann ein Sushi-Set zum Selbermachen. Als ich das Paket öffnete befand sich darin ein Beutel mit einem männlichen Zwergfadenfisch, ein Beutel mit 2 Garnelen und ein Beutel mit Wasserpflanzen. Dieses Geschenk löste sofort für den Rest der Party eine heftige Diskussion aus: Ob das nicht Tierquälerei sei? Und dass ich das Geschenk wieder zurückgeben müsse. Einer hielt dagegen: Das sei völlig in Ordnung, der Fisch würden zu den Labyrinthfischen gehören, die Sauerstoff aus der Luft atmen können. Ich habe erst mal die Tiere und die Pflanzen in eine große Glasvase getan. Die zwei Garnelen haben nicht lange gelebt. Den Zwergfadenfisch habe ich Klausi genannt. Und mir dann ein 20-Liter-Aquarium gekauft, dazu noch sieben Kardinalfische und mehrere Garnelen. Dann ein 54-Liter-Becken, dann ein 160-Liter-Becken und zuletzt ein 330-Liter-Becken – alle für Süßwasser 20 Grad eingerichtet.

Tiere aus Privathandlungen

Klausi lebt immer noch. Neben dem großen Aquarium habe ich noch drei andere Becken zum Züchten und für Quarantänefälle. Dann haben wir noch einen Garten mit einem Teich, in dem fünf Goldfische schwimmen. Und in meinem Büro steht ein 20-Liter-Kugelaquarium. Mit einem Kampffisch, zwei Schwertfischen, etlichen Guppys und kleinen Garnelen aus eigener Zucht. Dazu natürlich Pflanzen und Schnecken. Ich kaufe meine Tiere nur aus Privathaltungen.

taz-Serie Großstadtrevier

Sie sind überall. Manche sehen wir jeden Tag, manche so gut wie nie. Andere werden uns in Zukunft noch häufiger über den Weg laufen. Berlin ist nicht nur das Zuhause für dreieinhalb Millionen Menschen, sondern auch für unzählige Tiere: Füchse und Falken, Ratten und Schweine, Katzen und Spatzen. Für Sie legen wir uns auf die Lauer und lesen Fährten: Diese Sommer­serie ist animalisch.

Sie haben diese Teile der Serie verpasst: Betrachtungen über den Fuchs (21. 7.), Recherchen über den Migrationshintergrund der Berliner Fauna (28. 7.), die Wiederansiedlung des Bibers in Brandenburg, (11.8.), einen Essay über Katzen (6.8.), einen Bericht über die Vorzüge des Bürohundes (18. 8.), Wissenswertes über intelligente Krähen (25. 8.) und Interessantes über die Haltung von Schafen und Rindern sowie Fischzucht mitten in der Stadt (3. 9.).

In dem großen Becken zu Hause leben jetzt acht Skalare, vier Paare, die auch laichen, außerdem Guppys, deren Nachwuchs gefressen wird – zum Glück die vermehren sich sonst zu stark. Außerdem Ringelhandgarnelen, vier Zwergkugelfische, die sind etwas größer als Kichererbsen, drei Panzerwelse, drei Pandawelse und 15 Antennenwelse. und schließlich noch Klausi, der Zwergfadenfisch, und zehn Dornaugen, die wie kleine gestreifte Schlangen aussehen. Ich hatte auch mal vier Muscheln, aber die Kugelfische haben sie gefressen.

Das 160-Liter-Becken hatte ich über Ebay gekauft, komplett: mit der ganzen Technik und Bepflanzung und mit sechs Diskusfischen – zwei blaue, zwei weiße und zwei gelborangene. Der Besitzer wollte ins Ausland gehen. Alle haben mir abgeraten: Es sei sehr schwierig, Diskusfische im Aquarium zu halten. Man muss zum Beispiel einmal wöchentlich das Wasser wechseln. Es sind prächtige Fische, etwa so groß wie eine CD. Es ging dann ganz gut mit ihnen, aber ich hatte ständig Angst um sie und laufend hatten sie auch etwas. Schließlich dachte ich, das Becken sei zu klein für sie – und kaufte mir das 330-Liter-Aquarium.

Beim Umzug ist dann aber etwas schiefgegangen. Ein Fisch nach dem anderen wurde danach krank. Nachdem ich sie im Quarantänebecken mit Antibiotika behandelt hatte, bekamen sie die Lochkrankheit, das sind regelrechte kleine Löcher im Gesicht. Sie sahen schrecklich aus, ich habe ihnen Creme ins Gesicht geschmiert. Das war alles sehr teuer, fast 1.500 Euro insgesamt.

Als die ersten drei starben, habe ich geweint, mein Mitbewohner hat sie begraben. Die anderen drei wollte ich unbedingt loswerden und habe sie übers Internet angeboten. Normalerweise kostet einer um die 100 Euro, ich habe sie alle drei für 25 Euro verkauft – an eine Russin, die sich gerade ein 800-Liter-Aquarium einrichtete, sie hatte noch vier kleine Kinder, wie die das alles geschafft hat ... Mir sind meine Aquarien schon genug.

Im Aquarium-Verein bin ich nicht, zwei Mal habe ich bei denen angerufen – und bin gleich gerügt worden: Was, du weißt deine Wasserwerte nicht? Die muss man bei Diskusfischen zwei Mal am Tag messen. – Ich hab‘s aber nicht so mit Chemie und Physik. Darum habe ich auch mit den anspruchsloseren Skalaren begonnen. Einmal habe ich ein Pärchen ins Laichbecken umgesetzt, da ist mir einer rausgesprungen, als wir ihn endlich fanden, war er tot. In deren Becken habe ich jetzt Kampffisch-Nachwuchs.

Viele meiner Fische haben Namen. Das Tollste am Aquarium für mich: Da ist nur eine Glaswand und dahinter eine ganz andere Welt, in dem ganz andere Gesetze als bei uns herrschen – fast wie im Weltraum. Ein Meerwasser-Aquarium fände ich natürlich toll, ist mir aber zu viel Arbeit. Außerdem hätte ich zu viel Angst, das ich was falsch mache. Bei meinem Kugel-Aquarium im Büro muss ich gar nichts tun. Im großen Becken aber habe ich statt eines Sauerstoffsprudlers Oxydatoren, die funktionieren mit Wasserstoffperoxid. Das Schöne an ihnen ist, die machen keinen Pumplärm und das Aquarium ist ganz leise. Stundenlang könnte ich davor sitzen, mein Hund ist schon ganz eifersüchtig auf die Fische.

Manchmal gehe ich in das Aquarium des Zoos. Leider sieht man dort, dass es manchen Fischen nicht gut geht – den Haien zum Beispiel, die gehören da nicht hin. Das gilt auch für meine zwei Schwertträger im Kugelglas, sie brauchen viel Raum, die soll deswegen jetzt ein Kollege von mir übernehmen.

„Als die ersten drei Fische starben, habe ich geweint“

Nicola Schwarzmeier, Aquarianerin

Schöner als die öffentlichen Aquarien ist das Schnorcheln, was man da alles für Tiere sieht. Ich mache deswegen immer Urlaub am Meer, getaucht bin ich bisher im Mittelmeer, in Thailand und auf La Réunion, wo ich ein Auslandssemester verbracht habe.

In der Spree ausgesetzt

Manchmal verfolge ich im Internet die Eintragungen in den Aquarianer-Foren. Einige sind richtig verrückt: Die diskutieren da zum Beispiel, wie man einen unheilbar kranken Guppy am Humansten tötet. Eine Freundin von mir habe ich mit meiner Aquariumsleidenschaft angesteckt, die hat sich daraufhin auch ein Becken gekauft – mit vier an sich wenig anspruchsvollen Fischen: zwei Mollys, das sind lebendgebärende Zahnkarpfen, und zwei Platys, Spiegelkärpflinge aus der selben Familie. Aber die haben eine fast nicht heilbare Bauchwassersucht bekommen. Meine Freundin wollte die Fische aber nicht töten und hat sie dann in der Spree ausgesetzt. Ich war zuerst entsetzt, dass die vielleicht andere Fische anstecken, aber wahrscheinlich haben sie nicht lange in dem Flusswasser gelebt.

Auch Guppys werden da manchmal ausgesetzt. Und im Brunnen nahe dem Berliner Dom lebt ein Krebs, den haben sie wahrscheinlich auch dort reingesetzt, ebenso wie die Wasserschildkröten im Engelbecken in Kreuzberg und im See des Thälmann-Parks.“

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