Debatte Umgang mit Flüchtlingen: Colour matters

Die Lampedusa-Flüchtlinge vom Oranienplatz mussten viel ertragen. Kaum jemand sah hin. Sind uns schwarze Flüchtlinge so willkommen wie weiße?

Zelte auf den Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg

Das ist jetzt weg: Protest-Camp auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg (Archivbild, Dezember 2012) Foto: dpa

Mir ist der Eisregen in Erinnerung geblieben, damals auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor. Die Hungerstreikenden durften kein Zelt aufbauen, allenfalls eine Decke mitbringen und einen Regenschirm, so saßen sie im eisigen Regen, hungernd für ein Bleiberecht. Kaum jemand sah hin. Die Flüchtlinge waren, in ihrer Mehrheit, schwarz.

Ich verwende dieses Wort ungern; es gibt gewöhnlich Besseres, um Menschen zu beschreiben. Doch um Farbe geht es in diesem Kontext – nicht nur, aber auch.

Vom Eisregen zum Bonbonregen. Hat sich Deutschland so schnell geändert und so sehr? Die Lampedusa-Flüchtlinge vom besetzten Oranienplatz in Berlin waren, nach heutigen Maßstäben betrachtet, ein winziges Häuflein; und doch wurden sie mit großem bürokratischen Aufwand hingehalten und schikaniert. So lang ist das nicht her. Was also ist heute anders? Und was nicht?

Eine „Rechtslage“, die eben noch in aller Härte exekutiert wurde, kann erstaunlich flexibel werden, sobald der politische Wille sich ändert. Das müssen wir uns merken. Denn bald schon könnten die Rechtslagen wieder wie in Stein gemeißelt daher kommen. Und die Medien: Wie flugs sie sich ändern können! Wenn Opportunismus nässen würde, stünden manche Zeitungsständer jetzt kniehoch in Wasser.

Einwanderungsland zu linear gedacht

Heikler ist es, dies zu benennen: colour matters. Ich bediene mich hier mit Absicht bei der US-Bürgerbewegung (“Black Lives matter“). In den USA hat ausgerechnet die Amtszeit von Barack Obama gezeigt, wie tief Rassismus verwurzelt ist, gegenüber den einheimischen Afro-Amerikanern wohlgemerkt. Einwanderungsland zu sein, selbst mit einer so langen Tradition wie im Fall der USA, ist also keineswegs eine Medizin gegen Rassismus.

Auch dies müssen wir in den Wirren des gegenwärtigen Moments neu lernen. Die Linke hat lange zu linear gedacht: Als erfülle sich bereits eine Utopie, wenn sich Deutschland nur endlich zum Status eines Einwanderungslandes bekenne.

Was sich gegenwärtig abzeichnet ist in Abwandlung eines Gauck’schen Bonmots das Nebeneinander einer hellen und einer dunklen Flüchtlingspolitik.

Der Beginn einer Zwei-Klassen-Migrations-Steuerung. Gute Migranten, schlechte Migranten. Gute weiße Syrer, schlechte schwarze Afrikaner.

Während sich Deutschland zu Recht entrüstet über die ungarische Zäune-Politik, baut Deutschland selbst mit an den Zäunen in Afrika. Und in der Abschottung nach Süden ist sich die Europäische Union einig. Wer aus dem subsaharischen Afrika Richtung Europa will, soll künftig den Kontinent möglichst gar nicht mehr verlassen können. Im neuen Aktionsplan für den Sahel wird die Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Migration verquickt; deutsche Entwicklungshilfe fließt heutzutage auch in Grenzsicherung.

Viele Migranten durchqueren Niger, also steht dieser Staat nun im Fokus der Abwehrpolitik. Die Idee, dort ein Asylprüfzentrum hinzustellen (mit Lagern für Tausende Wartende?) stammt nicht aus Budapest.

Großbetriebe auf Aquise in Flüchtlingscamps

Soweit zum Dunklen. Nun das Helle: Mit den syrischen Flüchtlingen strömt Deutschland eine junge, gebildete Mittelschicht zu – der Traum jedes Migrationsmanagers. Schon gehen Großbetriebe zum Anwerben direkt in die Camps. Und auch dies gefällt: Die vom Krieg Gezeichneten kommen nicht mit Vorwürfen an die europäische Syrienpolitik, obwohl sie dazu allen Grund hätten; sie kommen aus der Hölle mit Dankbarkeit und Merkel-Bildern. Was spricht also dagegen, dass sie sich politisch so unauffällig integrieren wie jene 100.000 Deutsch-Syrer, die bereits vor Beginn des Konflikts hier lebten?

Um nicht missverstanden zu werden: Die Willkommenskultur ist wunderbar, und jeder, der sie unterstützt, handelt großartig. Aber was in diesen Tagen geschieht, ist auch eine unbezahlbare Imagewerbung für den Standort Deutschland. Ich erinnere mich noch, wie Inder den deutschen IT-Kräfte-Mangel lindern sollten (die CDU rief „Kinder statt Inder!“). In Bangalore hielt mir der begehrte Nachwuchs der IT-Elite kühl entgegen, ins fremdenfeindliche Deutschland werde ohnehin niemand kommen, da ließe sich keine Karriere machen.

Politiker fabulieren gern von einer maßgeschneiderten Einwanderung, doch tatsächlich folgt Migration eigenen, zeitgeschichtlichen Dynamiken. Über den Sommer 2015 werden die Historiker der Zukunft sagen: Merkel hat beherzt zugegriffen, als sich dem alternden Deutschland eine neue Generation qualifizierter Einwanderer bot. Und sie hätte, jeder weiß es, die Grenzen nicht für eine halbe Million Afrikaner geöffnet?

Die Lebenslügen des Westens

Den starken Staaten der reichen Welt gerät Migration zum Vorteil, zur Erneuerung. Armen Ländern hingegen wird eine massenhafte Ankunft anderer Armer aufgezwungen, sie können sie weder steuern noch zum eigenen Vorteil wenden. Wenn Deutschland sich nun verspätet bis in seine Behörden hinein als Einwanderungsland begreift, ist das erfreulich, vor allem für unser eigenes Lebensgefühl, doch es bringt uns globaler Gerechtigkeit nicht näher.

Platt und brutal gesagt: Die Schokoriegel, die wir den syrischen Geflüchteten zustecken, sind so günstig, weil dafür Kinder auf den Plantagen der Elfenbeinküste schuften. Und in den Smartphones, die auf Flüchtlingsrouten lebensrettend sind, stecken Afrikas unfair gehandelte Rohstoffe. So human die Aufnahme der Syrer jetzt ist: Ob Deutschland eine Migrationspolitik auf Höhe des 21. Jahrhunderts macht, wird sich an seinem Umgang mit den afrikanischen Arbeitsmigranten zeigen.

Die Abwehr gegen diese Menschen ist so stark, weil sie den reichen Norden mit seiner Lebenslüge konfrontieren: dass unser Wohlstand ausschließlich eine Frucht unserer eigenen Hände Arbeit sei. Dass wir keine Klimakiller sind und nicht vom ungerechten Welthandel profitieren. Dass wir niemanden ausbeuten, und alles im Großen und Ganzen so bleiben kann, wie es ist. Die EU ist eine Festung geblieben, auch wenn es in Deutschland nun Bonbons regnet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.