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Von Lesung zu Lesung wandern

Literatur Auf dem Sommerfest des LCB rufen die Kinder fröhlich „Mir ist langweilig“. Was nicht heißt, dass es den Besuchern und Besucherinnen der Traditionsveranstaltung ebenso ergangen wäre. Ganz im Gegenteil

von Detlef Kuhlbrodt

Mit der Berlinale wird immer der Anfang vom Ende des Winters, mit dem Sommerfest des LCB am Wannsee wird jedes Jahr der Anfang des Endes des Sommers gefeiert. Wir sitzen guter Dinge in der S-Bahn nach Wannsee und ich versuche S. zu erklären, was es mit diesem Sommerfest auf sich hat. S. kommt aus der Mongolei. Wir hatten vor 13 Jahren ein paar Monate zusammengewohnt und sind beide ganz erstaunt, wie schnell doch die Zeit vergeht.

Mitveranstalter des diesjährigen Sommerfestes ist Rowohlt Berlin. In diesem Jahr feiert Rowohlt Berlin nämlich seinen 25. Geburtstag und präsentiert sich an diesem Samstag „in seinem ganzen Facettenreichtum“.

Es ist kurz nach vier, die Stimmung sehr gut und angenehm familiär. Kinder mit geschminkten Gesichtern spielen im Eingangsbereich. Ein paar Hunde sind auch dabei. Und viele Ältere, die wie ich das Fest schon seit vielen Jahren besuchen. Das erste Mal war ich 1984 hier gewesen und hatte mich über Eckard Henscheid und seinen Text über „Busengrößen“ totgelacht. Nun steh ich am Rand der Rotunde gleich beim Wasser und höre Katerina Poladjan zu. Sie liest aus ihrem Roman „Vielleicht Marseille”, der von Menschen handelt, denen ihr Leben zu entgleiten droht. Ich versteh nicht so viel, aber das stört auch nicht weiter. P. steht auch da. Wir sind bei Facebook befreundet, unterhalten uns dort oft und finden ähnliche Dinge gut.

Er sagt „Bist du nicht …“ ich sage Ja“ und freue mich, endlich mal einem Internetfreund in echt zu begegnen. Viel mehr können wir nicht sagen, da die Lesung noch läuft. Als sie zu Ende ist fragt Dirk Knipphals, der moderiert, die Autorin noch, warum die Heldin des Romans dies und das mache. Katerina Poladjan antwortet: „Das ist so eine, die macht so was“, und Dirk Knipphals sagt am Ende: „Wir wollen nichts verraten.“ (Mit ähnlichen Sätzen endet jede Lesung hier)

Wir flanieren so durch die Gegend. Ich unterhalte mich mit Wolfram Eilenberger und Dirk Knipphals über Karl Ove Knausgard. Eilenberger ist Chefredakteur des Philosophie Magazins und ein kompetenter Fußballkenner. Wie übrigens auch Harry Nutt von der Berliner Zeitung, der aus Paderborn stammt und ein bisschen traurig dar­über ist, dass „seine“ Mannschaft nicht mehr in der Bundesliga spielt.

Ab und an essen wir etwas, trinken Kaffee und später Bier. Irgendwann stehen drei ehemalige und der aktuelle Literaturredakteur der taz nebeneinander. Das ist lustig, und die Lesungen sind wie eine Begleitmusik des schönen Sommertages und unserer Gespräche. Meine mongolische Freundin versteht nicht so viel; es gefällt ihr aber sehr gut, den Wörtern und Sätzen zuzuhören. Von Kirsten Fuchs zum Beispiel, die aus ihrem Roman „Die Mädchenmeute“ vorliest. Es geht um sieben 15-jährige Mädchen, die erst in einem Sommerferienlager sind, aber ausbüxen ins Erzgebirge fahren und in einem dunklen Wald Abenteuer erleben, wenn ich es richtig verstanden habe. Die Lesung endet mit dem Satz „Wir spielten im Wald – danke schön!“ Als sie an dem Buch schrieb, habe sie ihrer Tochter erzählt, sie schreibe „ein dickes Buch mit Hunden drin“, sagt Kirsten Fuchs.

Die einzelnen Lesungen mit anschließendem Gespräch dauern jeweils eine halbe Stunde und folgen aufeinander. Da man sich zwischendurch ja auch noch unterhält, bekommt man selten mehr als die Hälfte mit. Eigentlich ist es so ähnlich wie Roskilde oder Melt. Wissbegierig wandert man von Lesung zu Lesung, von Terrasse zu Rotunde, nimmt die Worte und Sätze eher wie Musik wahr und wird allmählich ein bisschen betrunken.

Auf der Terrasse liest Szczepan Twardoch aus seinem Roman „Morphin“, der 1939 in Warschau spielt, in Polen ein Bestseller ist und nun auch verfilmt wird. Da so viele Leute da sind, kann ich den Autor nicht sehen, nur hören, wie er bestätigt, dass seine Leser ihm bestätigt hätten, sich mit seinen Romanpersonen identifizieren zu können.

Die Lesungen sind wie Begleitmusik des schönen Sommertages

Unten am Wasser sitzen die Titanic-Stars Oliver Maria Schmitt und Martin Sonneborn, umringt von ihren lachlustigen Anhängern in der Rotunde gleich am Wasser und lesen Titanic-Texte von früher vor. Ich bin ein bisschen traurig, weil sie sich für ihren Auftritt nichts Aktuelles ausgedacht haben und ich die alten Geschichten schon kenne.

Dass der Auftritt der beiden nicht so super ist, ist aber okay und stört nicht weiter. Es fällt aber auf, dass Schmitt in genau der gleichen Art jede seiner Pointen betont, wie es später Horst Evers bei seinem Auftritt auch macht.

Ulrich Matthes liest Wolfgang Herrndorfs „Tschick”, Wolfgang Büscher aus seinem Reisebuch „Ein Frühling in Jerusalem” vor, das in der Altstadt von Jerusalem spielt. „Ein paar Jungen bewarfen sich mit englischen Worten“. Es ist ein wunderschöner Abend und der Sonnenuntergang sehr postkartenmäßig.

Kinder rufen fröhlich „Mir ist langweilig“. Während im LCB nun das Tanzvergnügen mit den DJs Markus Berges, Ekki Maas und Robert Skuppin beginnt, sitzen wir draußen, trinken Weizenbier im Licht des Vollmonds und unterhalten uns etwa darüber, dass asiatische Leute schneller betrunken werden als Leute aus dem Westen. S. sagt, das gelte nicht für Mongolen. Ich bin mir nicht sicher, aber plötzlich auch betrunken.

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