: Nicht immer nur Party
LABEL-NACHT Zucker bedeutet nicht nur Party. Aus dem Netzwerk entstand unter anderem ein Label, bei dem es sehr gemischt zugeht. Nachhören lässt sich das auf dem Album „Grey City“ und heute auf der „MS Treue“
von Andreas Schnell
Es beginnt mit reinem Lärmen. „Spinaci“ von Nordurgata macht in nicht einmal einer Minute klar, dass das Album „Grey City“ im Sommer bei ZCKR Records erschienen, kein Stoff für gut gelaunte Techno-Partys ist. Nicht nur jedenfalls. Es gibt zwar auch Tracks, die auf den Tanzboden zielen. Aber auch bei denen regiert eine Ästhetik, die Welten trennt von dem, was nicht nur in Bremer Clubs in der Regel zu erwarten ist, wenn es um elektronische Musik geht. Auf „Grey City“ steht Noise neben gebrochenen Beats, finden sich fahle Ambient-Stücke neben verschrobenen Song-Entwürfen.
„Grey City“ markiert in etwa das fünfjährige Bestehen des Labels, das Sebastian Reuschel und Adel Akram mit einem inzwischen ausgestiegenen Freund ins Leben riefen. Und: Die Zusammenstellung mit elf Tracks trägt die Katalognummer 10. „Das ist schon eine Marke“, sagt Reuschel, auch wenn die ein wenig irreführend sein mag. Denn ZCKR Records veröffentlicht auch auf CDRs und Kassetten, die eine eigene Zählung haben. Insgesamt erschienen laut Online-Plattform „Discogs“ 18 Veröffentlichungen unter dem Label ZCKR Records. Der Fokus liege aber auf Vinyl, sagt Reuschel. „Das erfordert eine intensivere Auseinandersetzung als eine MP3-Datei.“
Der nicht gerade inflationäre Ausstoß hat seinen Grund ganz offenkundig nicht in der Qualität der im Umfeld flottierenden Künstlerinnen und Künstler. Tal folgen dem eingangs erwähnten Krach-Eröffner mit dem sanft pulsierenden „Static“, Precious Panda Experience strafen den Titel ihres Stücks „Fragile“ mit brachialen Industrial-Beats Lügen, „Sanctuary“ von Robin versetzt Breakbeats mit dunklen Atmosphären, „HB Hardcore“ von Tobs ist noch am ehesten das, was sich Außenstehende unter Techno vorstellen. Und ganz und gar aus dem Rahmen fällt „Einstellungen“ von Spröde Lippen. Mit minimalistischem Schlagzeug und Bass sowie Piano-Tupfern unterlegt, gibt es hier sogar kratzbürstigen Gesang in deutscher Sprache.
Die stilistische Vielfalt ergibt sich durchaus auch aus biografischen Gründen. „Party steht für mich nicht mehr so im Zentrum wie früher“, sagt Reuschel. Aber ZCKR Records sollte ohnehin immer mehr sein als Tanzmusik: „ZCKR Records als Basis für den Output, der uns umgebenden Künstler_innen und Freunde“, verortet sich das Label selbst. Gegründet haben Reuschel und Akram das Label als Plattform für das eigene Umfeld. Aber ein Freifahrtschein soll persönliche Nähe auch nicht sein. Natürlich geht es um gute Musik, wie Reuschel betont. „Aber es gibt auch Leute, die gute Sachen machen, mit denen wir aber persönlich nicht klarkommen. Deren Sachen würden wir auch nicht veröffentlichen.“
Sebastian Reuschel
Es geht schließlich auch nicht um den kommerziellen Erfolg. Das Label trägt sich finanziell selbst, das muss genügen. Dabei fiel vor einigen Jahren eine wichtige Stütze weg: „Über Veranstaltungen im Zucker-Club gab es eine Art Subventionierung von ZCKR Records“, erzählt Reuschel. Die gibt es seit dem Sommer 2012 nicht mehr. Was auch die Labelbetreiber vor die Frage stellte: Weitermachen oder nicht? Wie sie sich entschieden, ist bekannt. Und auch wenn sie, laut Reuschel, ZCKR Records allein über Plattenverkäufe nicht finanzieren könnten, geht die Sache vorerst auf.
Seit 2014 gibt es immerhin wieder einen Ort, an dem regelmäßig ZCKR-Records-Künstler live auftreten können. Alle drei Monate gibt es eine Label-Nacht auf der „MS Treue“, am heutigen Samstag ist es wieder so weit, mit Sebastian Reuschel selbst, unter seinem Alias Stig Inge, und Adel Akram sowie einem Gast vom Hamburger Pudel-Club.
ZCKR-Nacht mit Nina (Golden Pudel), Stig Inge und Adel Akram: Samstag (heute), 23 Uhr, „MS Treue“; „Grey City“ ist in der Glasbox, Ostertorsteinweg 100 und über shop.zckr-records.de erhältlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen