: Der Zorniger wird immer trauriger
Kellerderby Der Hamburger SV schafft es mit einem Tor in der 89. Minute, wie ein normaler Bundesligist dazustehen. Und der Coach des VfB Stuttgart ist nach der 2:3-Niederlage nicht mal mehr fassungslos
Aus Hamburg Ralf Lorenzen
„Bitter“. Selten stimmten Form und Inhalt so überein wie in dem Moment, in dem Alexander Zorniger dieses kleine Wort aussprach. Stuttgarts Trainer wirkte nicht etwa enttäuscht oder frustriert, als er seine Eindrücke der 2:3-Niederlage gegen den HSV zusammenfasste – er wirkte zutiefst traurig. Und immer noch fassungslos über das, was sich da in den letzten fünf Minuten dieses lange Zeit ganz normalen Bundesliga-Spiels zugetragen hatte.
Auch auf Seiten des Siegers gab es diesen kurzen Moment, in dem sich alle Emotionen bündelten. Der Schrei aus 50.000 Kehlen, der das Volksparkstadion in der 89. Minute zum Vibrieren brachte, klang nicht nach Jubel, sondern nach fassungslosem Glück. Gerade hatte Hamburgs Kapitän Johan Djourou den Siegtreffer erzielt.
Um zu verstehen, warum es bereits am 2. Spieltag zu so heftigen Gefühlsausbrüchen kommen kann, als ginge es um Abstieg oder Meisterschaft, muss man drei Monate zurückblicken. Da trafen sich beide Teams an der Grenze zum Abgrund, in den die Hamburger durch die 1:2-Niederlage dann vermeintlich auch stürzten, bevor sie sich noch auf wunderliche Weise retteten. Das dramatische Saisonfinale schwang vor allem auch deshalb noch mit, da beide Mannschaften wieder mit einer Pleite in die neue Saison gestartet waren. Beim HSV kamen noch die Pokalblamage gegen einen Viertligisten und die Rucksackaffäre um den Profifußballdirektor Peter Knäbel hinzu. Die Angst grassierte, wieder einmal früh in einen Abwärtsstrudel gerissen zu werden, der alle guten Vorsätze im Ansatz verschluckt. Dabei gibt es gerade die bei beiden Klubs zuhauf.
25 Trainer haben beide Klubs zusammen in den letzten zehn Jahren verschlissen – eine Zahl, die nur dann größer wäre, wenn man den HSV mit Schalke 04 zusammenrechnen würde. Für beide Teams gilt, was Stuttgarts Sportchef Robin Dutt für den VfB schon vor einiger Zeit konstatierte: In der Vergangenheit wurden zu viele Spieler geholt, die nur den Vorstellungen des jeweiligen Trainers oder Managers entsprachen, eine eingespielte Mannschaft habe sich so aber nicht entwickeln können.
Für diesen Befund zeigte der VfB am Samstag in den ersten 80 Minuten eine erstaunlich geschlossene Leistung, in der die Handschrift des neuen Trainers Alexander Zorniger deutlich zu erkennen war. Nicht nur durch zwei Tore von Stoßstürmer Daniel Ginczek (23. und 42. Minute).
Bruno Labbadia, der fünf der sieben von ihm in diesem Sommer neu verpflichteten Spieler aufbot, hatte die Marschroute ausgegeben, dem Pressing der Stuttgarter mit hohen Bällen in die Spitze auszuweichen. Die Wahl dieses schlichten Mittels begründete Labbadia mit der noch fehlenden Struktur in seiner Mannschaft, die spielerische Lösungen erschwere. Es taugte immerhin dazu, in der 34. Minute den vorübergehenden Ausgleich zum 1:1 durch Ivo Ilicevic zu erzielen.
Der Bruch im Spiel erfolgte durch die gelb-rote Karte für Abwehrspieler Florian Klein in der 53. Minute und auch dadurch, dass der HSV von der Bank mehr nachlegen konnte. Zum Matchwinner wurde neben Siegtorschütze Djourou der eingewechselte Pierre-Michel Lasogga, der nicht nur das 2:2 erzielte und das 3:2 vorbereitete, sondern auch mit seinem dynamischen Auftreten Mitspieler und Publikum immer wieder puschte.
Zumindest eine Woche lang kann man in Hamburg nun wohl etwas Ruhe und den Blick auf einen einstelligen Tabellenplatz genießen. Die Imagewerte Labbadias nähern sich derweil in Hamburg weiter denen Helmut Schmidts, dem Krisenmanager der Sturmflut 1962.
Die Stuttgarter werden sich kaum damit trösten, dass sie spielerisch wesentlich weiter sind, als es der Punktestand Null ausdrückt. Sondern sich intensiv umgucken, wo sie für die Millionen aus dem Transfer von Antonio Rüdiger nach Rom noch Verstärkung für die Defensive herbekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen