Essay Über die helle und die dunkle Seite des Literaturbetriebs, aktuelle Künstlerromane, Starrummel, Dienstleistungsgehälter und den seltsamen Wunsch, Bücher zu schreiben
: Schriftsteller werden – warum tut man sich das an?

Die helle Seite des Betriebs: Sommerfest beim Literarisches Colloquium in Berlin Foto: Piero Chiussi

von Dirk Knipphals

Es gilt als ungeschickt, einen Artikel mit einer ellenlangen Themenbeschreibung zu beginnen. Aber ich mach jetzt mal eine Ausnahme.

Es geht hier um das „Warum schreibe ich überhaupt und was schreib ich da eigentlich und wer braucht’s und warum nehme ich meinen Arsch nicht in die Hand und mache mal was, was irgendwie ehrlicher und cooler und lustiger und lässiger und handfester ist“ – Thema. So hat die Autorin Mercedes Lauenstein, die kürzlich mit dem Prosaband „Nachts“ debütierte, es neulich in der „Literarischen Welt“ launig genannt. Man kann es auch in einer simplen Frage zusammenfassen: Schriftsteller sein – warum tue ich mir das eigentlich an?

Die Frage ist, wenn man sich etwas im Literaturbetrieb umtut, tatsächlich interessant. An diesem Wochenende findet das Sommerfest im Literarischen Colloquium Berlin statt. In Ostwestfalen läuft gerade das Festival Poetische Quellen. Bald startet in der Hauptstadt das Internationale Literaturfestival. An vielen Orten ist etwas los. Und auf allen diesen Events wird man feststellen, dass das Publikum da ist. Es sucht die Nähe zu den Autoren. Und die Maschine des Betriebs rollt dazu ohne Unterlass und spuckt beständig neue Debütantennamen und Preisträgerkandidaten aus. Das ist die helle Seite des Betriebs.

Es gibt aber auch eine dunkle Seite. Denn gleichzeitig weiß man, dass Bücher zu schreiben viel einsame Arbeit (sehr viel einsame Arbeit) ist für wenig Geld (oft sehr wenig Geld). Freunde gesicherter Rentenansprüche sollten sowieso etwas anderes machen. Es ist ein bisschen seltsam, dass es derzeit so wenig thematisiert wird, aber Schriftsteller werden gleichzeitig angehimmelt und mit Dienstleistungsgehältern abgespeist. In Berlin ist das vielleicht anders, weil hier viel Bohemeprekariat unterwegs ist – aber bei Lesungen im Hamburger Literaturhaus oder auch im Münchner, Stuttgarter, Göttinger oder anderswo ist davon auszugehen, dass der Mensch mit dem geringsten Monatsgehalt im Saal, von Studenten abgesehen, der Autor ist. An Lehrergehälter kommt er nicht ran.

Außerdem ist es mit der Unabhängigkeit von Autoren auch nicht weit her. Wer Romane schreibt, macht sich abhängig von Jurys, Romanpreisen und Stipendien, natürlich auch von Verlagen. Zugleich setzt er sich einem Verdrängungswettbewerb unter den Autoren aus, der besonders anstrengend ist, weil man ihn, wenn man mitten drin ist, gewissermaßen nicht wahrnehmen darf.

Zu den irrsten Erfahrungen beim Bachmann-Vorlesewettbewerb in Klagenfurt gehört es zum Beispiel, die Kandidaten und Kandidatinnen in ihren jeweiligen Rollen zu beobachten. Objektiv konkurrieren sie. Aber nicht nur um die Preise, sondern offenbar auch darum, es sich beim Socializing drumherum am wenigsten anmerken zu lassen. Niemand spricht die Konkurrenzsituation an. Als gäbe es da ein Tabu. Nur müssen die, die leer ausgingen, ihre narzisstische Kränkung hinterher mit sich allein ausmachen.

Also, warum schreibt man?

Die klassische Antwort lautet: Weil man „muss“, weil man „nicht anders kann“. Das ist natürlich im Grunde eine Nichtantwort – warum muss man, warum kann man nicht anders; daran, dass Gott oder die Natur einen so geschaffen haben, glaubt man ja nicht mehr –, aber sie wird immer noch gern gehört. Und flankiert wird sie mit dem Topos, dass die Literatur ein innergesellschaftliches Exil für Außenseiter bietet. „Warum bin ich doch so sonderlich und in Widerstreit mit allem, zerfallen mit den Lehrern und fremd unter den anderen Jungen?“, heißt es bei Thomas Mann im „Tonio Kröger“ (kann man einen Nachhall dieses Grübelns nicht leise in der launigen Themenbeschreibung von Mercedes Lauenstein grummeln hören?).

Wie gern diese Antwort immer noch gehört wird, lässt sich an den vielen positiven Reaktionen auf Gary Shteyngarts kürzlich erschienenen Roman „Kleiner Versager“ ablesen. Shteyngart erzählt darin seinen Werdegang vom asth­matischen jüdischen Jungen in St. Petersburg bis hin zum – er emigrierte mit seinen Eltern als Kind – Erfolgsautor in New York. Und ziemlich am Anfang heißt es: „,Aber was für ein Beruf ist das – Schriftsteller?‘, wollte meine Mutter wissen. ,Das willst du werden?‘ ,Das will ich werden.‘“

Schon damit ist alles klar. Es steht zwar viel drin in diesem Buch über den immensen Fleiß, den man dazu aufbringen muss, über die Abgründe an Identitätszweifeln und die Neurosen, die damit verbunden sind. Aber das blendet man beim Lesen gleichsam weg, was auch, aber nicht nur am schalkhaften Witz des Erzählers liegt. Es liegt auch an dem Topos, dass hier jemand schreiben „musste“ und sein Außenseiterdasein, weil er einen privilegierten Zugang zur Kreativität hat, in eine Autorenkarriere transzendierte.

Dieses Künstlerromanmotiv funktioniert ein bisschen so wie die Matrix in den gleichnamigen Filmen, die verdeckt, an welche Schläuche wir angeschlossen und was für bedürftige Wesen wir sind. Es ist eine Art Märchen, das uns hilft, über die schlimmen Erfahrungen hinweg zu lesen.

Es gibt derzeit aber auch Romane, die das, so wie Shteyngart ausgehend von autobiografischem Material, ganz anders erzählen. Im fünften Band, „Träumen“, seiner „Mein Kampf“-Reihe kommt Karl Ove Knausgart auf seine Zeit bei der Schreibakademie in Bergen zu sprechen. Andreas Maier beschreibt in „Der Ort“ wie weit das außenseiterische Jugend­irresein führen kann, wenn man sich, allein mit seinen Größenfantasien, zu sehr mit den Romanen von Thomas Mann und Dostojewski identifiziert. Gerhard Henschel dagegen erdet in seinem „Künstlerroman“ den Schreibwunsch seines Helden Martin Schlosser ganz entschieden.

In Künstlergeschichten wird besonders deutlich, was mitt­lerweile jedermann umtreibt: das ­Drama, man selbst zu werden

Das sind drei sehr unterschiedliche Romanprojekte. Aber eins eint sie doch: der Impuls, das Künstlermärchen links liegen zu lassen und einmal genau zu beschreiben, wie der Wunsch, Schriftsteller zu werden, bei ihnen entstanden ist. Die Details dazu schreiben sie akribisch und mit einer Ehrlichkeit auf, die bis zur Nacktheit geht. Anders als Shteyngart macht sie das anschlussfähig an ein Nachdenken darüber, dass Kreativität in unserer Gesellschaft nicht mehr nur als Verheißung zur Selbstverwirklichung auftritt, sondern auch als Forderung. Nicht kreativ sein wollen – das geht gar nicht mehr.

Wirklich interessant ist ein weiterer Aspekt. Mercedes Lauensteins launige Bemerkung spielt damit, dass es jenseits des Schreibens sozusagen einen sicheren Hafen geben könnte, einen Ort des unhinterfragten, ernsthaften, sie sagt „handfesten“ Seins. Das kann man aber, wenn man diese Bücher liest, ganz anders sehen. Denn ihre Helden machen, etwas extremer und ausführlicher, im Grunde nur das, was heute jedermann macht: Sie versuchen, ihrem Leben Sinn und ihrem Dasein Bedeutung zu geben; sie wissen nicht genau, wie das geht; und so probieren sie es aus.

Es ist halt alles ein großes Identitätsherumgeeiere. Man versteht unsere Gesellschaft ganz falsch, wenn man annimmt, dass nur Außenseiter sich selbst fremd sind (sich selbst fremd sein, das war einst eine der Pathosformeln für Autoren). Dass Identität und Lebenssinn nicht einfach da sind, sondern dass man sie sich immer wieder für sich selbst herstellen muss, das ist längst Teil auch eines nicht künstlerischen Lebens. Insofern ist es, kühl gesehen, gar nicht weiter verwunderlich, dass es Menschen gibt, die es sich antun, Schriftsteller werden zu wollen. In Künstlergeschichten wird nur vielleicht besonders deutlich, was mittlerweile auch Angestellte, Beamte, Unternehmer und Zeitungsleser umtreibt: das Drama, man selbst zu werden.

Gute Schriftsteller werden möglicherweise die Menschen, die möglichst genau und schillernd wissen wollen, wie dieses Drama vonstatten geht. Nein, anders. Gute Autoren werden Menschen, die das wissen wollen. Dass sie, um daraus Bücher machen und davon wenigstens halbwegs leben zu können, die Karriere eines Schriftstellers ergreifen – also selbstständige Unternehmer ihrer selbst werden – müssen, ist, wie die Dinge organisiert sind, halt so. Schlechte Bezahlung und Konkurrenzdruck inklusive (aber wie sollte es auch sonst gehen?).

Es bringt keineswegs mehr Honorare oder Buchpreise, wenn man sich das als Autorin überlegt. Aber es macht innerlich vielleicht etwas unabhängiger vom Literaturbetrieb.