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"Wir Obdachlose können auch etwas"

Kultur In Wedding treten die drei großen obdachlosen Schauspielgruppen Berlins gemeinsam auf

Foto: privat
Jan Markowsky

66, spielt seit 2000 bei „Unter Druck“ im ­Wedding Theater.Markowsky lebte acht Jahre lang auf der Straße.

taz: Herr Markowsky, wie wird man als Obdachloser Schauspieler?

Jan Markowsky: Das geht ganz schnell. Wissen Sie, jeder Mensch hat das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung. Das gilt auch für Obdachlose. Und wo bekommt man Anerkennung, wenn nicht als Schauspieler auf der Bühne?

Wie sind Sie selbst zum Theater gekommen?

Ich habe vor 15 Jahren ein Plakat der Theatergruppe „Unter Druck“ gesehen. Aus Neugier habe ich mal bei einer Probe vorbeigeschaut. Sofort habe ich mich wohlgefühlt. Danach gehörte ich einfach dazu.

Was ist das Besondere, wenn Obdachlose auf der Bühne stehen?

Die Umstände, unter denen wir Theater spielen, sind ganz andere. Uns fehlt es häufig an Geld für die Urheberrechte der Stücke. Deshalb zeigen wir Eigenproduktionen. Außerdem sind manche Darsteller eingeschränkt. Einige Suchtkranke zum Beispiel können sich Texte nur schwer merken. Da ist dann Improvisation gefragt, denn sie sollen trotzdem mitmachen. Auch die Themen unserer Stücke sind besonders.

Worum geht es denn?

Um das, was uns beschäftigt. Unser aktuelles Stück, „Collage“, ist eine bunte Mischung aus Szenen und Gedichten ohne Zusammenhang. Es geht unter anderem um Herzlichkeit und Zusammenhalt. Wir erzählen in einer Szene die Geschichte von Rapunzel, die obdachlos wird und auf dem Leo [Leopoldplatz, Anm. d. Red.] auf einer Kletterbrücke Unterschlupf findet.

Ist Ihr Programm auch politisch?

Na klar! In einem Gedicht prangere ich den globalen Finanzkapitalismus an. Ich hatte lange als Ingenieur gearbeitet, bis ich 2000 alles hinschmiss. Durch meine Zeit auf der Straße bin ich frei von den Zwängen des Geldes geworden. Davon möchte ich denen erzählen, die noch im System gefangen sind. Auch die Oberflächlichkeit der heutigen Welt thematisieren wir. Alles wird schneller und vergänglicher. Die Menschen suchen nach Halt und glauben, ihn in materiellen Dingen zu finden. Wir Obdachlose haben nur uns. Das reicht.

Sie selbst haben seit 2009 wieder eine Wohnung. Ist das für die anderen Schauspieler, die obdachlos sind, kein Problem?

Nein, bei uns kann jeder mitmachen. Die meisten sind oder waren zwar obdachlos, aber wir sind offen für alle. Es kommen ständig neue Menschen hinzu, viele verlassen uns auch.

Wer leitet die Proben?

Wir haben keinen offiziellen Leiter, aber eigentlich organisiere ich das meiste.

Wie ist Ihre Theatergruppe entstanden?

Wie fast alle obdachlosen Theatergruppen: Durch ein kurzfristiges Projekt mit Theaterpädagogen oder Studenten. Oft führen die Obdachlosen die Gruppe dann auf eigene Faust weiter – so auch bei uns. Wir sind unabhängig. Das ist uns sehr wichtig. Wir möchten zeigen, dass wir Obdachlose auch was können!

Obdachlose, die Theater spielen, gibt es schon lange. Wieso sollte man das 1. Obdachlosenfestival auf dem Leopoldplatz besuchen?

Zum ersten Mal treten die drei großen obdachlosen Schauspielgruppen Berlins gemeinsam auf: Die Ratten 07, der Brückeladen und wir, Unter Druck. Außerdem spielen wir zum ersten Mal auf dem Leopoldplatz, der uns viel bedeutet. Aus zwei Gründen: Erstens sind dort in den vergangenen Jahren einige von uns gestorben. Wir wollen ihnen deshalb am Montag gedenken. Zweitens kümmert sich dort seit 2009 ein Sozialarbeiter um die Obdachlosen – bisher nur bis Dezember. Wir möchten, dass er länger bleibt. Doch bisher fehlt das Geld. Für die Banken ist doch immer genug Kohle da, für Menschen offenbar nicht. Darauf werden wir am Montag aufmerksam machen.

INTERVIEW JULIAN RODEMANN

1. Obdachlosenfestival am 31. 8, ab 12.30 Uhr auf dem Leopoldplatz/Wedding

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