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Von Punks und Baptisten

WANDERGITARRE Hot Water Music waren Anfang des Jahrtausends einer der Bands der Stunde. Bis sich Chuck Ragan eine akustische Gitarre umhängte, um seinen Folk-Wurzeln zu frönen – und damit Schule machte

von Andreas Schnell

Inzwischen ist es beinahe schon ein Running Gag, wenn sich Sänger, die mit Hardcore-Bands mehr oder weniger populär geworden sind, die akustische Gitarre schnappen, um sich auf ihre angeblichen Wurzeln zu besinnen. Joey Cape von Lagwagon hat es getan, Walter Schreifels von Gorilla Biscuits, Greg Graffin von Bad Religion, und auch Laura Jane Grace von Against Me! nahm, damals noch als Tom Gabel, ein Solo-Werk auf, das vorwiegend auf akustischen Sounds basierte. Und natürlich dürfen wir an dieser Stelle auch Frank Turner nicht vergessen, der nach dem Ende seiner Band Million Dead ganz auf akustische Musik umstieg und erst so wirklich bekannt wurde.

Dabei ist es häufig schwer zu entscheiden, inwieweit schnöde materielle Gründe für die Wandlungen verantwortlich sind. Schließlich ist es einfacher und auch günstiger, allein auf Tournee zu gehen. Aber da der Kapitalismus in seinem Lauf auch noch die letzten Winkel seiner Subjekte durchdringt, ist die Frage im Grunde müßig. Interessanter schon, ob da ästhetisch alles mit rechten Dingen zugeht. Auch wenn Folk und Country durchaus eine gemeinsame Vergangenheit mit Punk haben und beides tief in die Matrix vieler Musiker im an­glophonen Raum eingeschrieben ist, tauchten in den letzten zehn Jahren doch verdächtig viele Musiker in der Szene auf, die eigentlich schon immer den Folk im Herzen trugen.

Die Verwandtschaft von Folk und Country mit Punk ist dabei zumindest historisch nachweisbar und erschöpft sich nicht in eher schnörkellosen Songformen. Historisch begann der Flirt der Bilderstürmer schon in den frühen Achtzigerjahren. Während in London die Pogues irischen Folk mit Punk-Energie spielten, näherten sich in den USA Bands wie die Violent Femmes und die Meat Puppets auf je sehr eigene Weise tradierten Stilen. Eine auch inhaltliche Nähe der durchaus auch konträren Subkulturen formulierte Austin Lucas, ebenfalls einer jener Musiker mit Punk-Biografie, in einem Interview: „Country war immer die Musik armer Leute. Und es waren immer echte Geschichten. Es ist nicht so selbstverliebt. Punk kam auf, weil Rock zu selbstbezogen wurde, zu aufgebläht, einfach Bullshit. Deswegen kam Punk. Punk und Country haben vor allem eines gemeinsam: Sie sagen die Wahrheit, sie handeln von der Realität.“ Jeff Tweedy, inzwischen mit Wilco einer der erfolgreichsten Musiker der Americana-Szene, forumlierte es knapper, einst als er noch bei Uncle Tupelo spielte: „Für uns ist Hardcore-Punk auch Folk-Musik.“

Übrigens gibt es eine lange Geschichte zwischen Gegenkultur und Country und Folk. Schon Jerry Garcia von Grateful Dead betrieb neben seiner Hauptband Projekte wie die Bluegrass-Band Old And In The Way. Für Garcia war die Liebe zu Bluegrass älter als die Neigung zu psychedelischem Rock. Auch für Chuck Ragan, der der Anlass dieses Textes ist, kam vor dem Punk erst einmal ganz andere Musik: „Ich wuchs in einem alten, konservativen Baptistenhaushalt im Süden auf. Vieles von der Musik zu Hause war Cajun, Gospel, Bluegrass, ein bisschen Country, aber meistens nichts Säkulares.“ Wie sein Freund Austin Lucas sieht er Gemeinsamkeiten zwischen seiner musikalischen Kinderstube und dem Punk-Rock-Jugendzimmer: „Beides kann persönlich sein, beide können politisch sein, sie können beide direkt sein und ehrlich.“ Wobei die Rede von der „ehrlichen Musik“ nicht von ungefähr an das Modell Bruce Springsteen erinnert.

„Ich wuchs in einem alten, konservativen Baptistenhaushalt im Süden auf. Vieles von der Musik zu Hause war Cajun, Gospel, Bluegrass, ein bisschen Country, aber meistens nichts Säkulares“

Chuck Ragan

Interessanterweise ist bei Ragan eher wenig Country zu hören, wenn er mit akustischer Gitarre spielt, dafür mehr Folk. Und hört man sich im Vergleich zu seinen Solo-Alben die Musik seiner alten Band Hot Water Music an, ist nicht nur der Stimme wegen der Gedanke naheliegend, dass sich eigentlich gar nicht so wahnsinnig viel verändert hat. Statt elektrischer Gitarren gibt es nun die akustische und gelegentlich eine Fiddle zu hören. Aber es erinnert, wie es das Blog „Hearnebraska.org“ festhielt, in weiten Teilen auch an Bruce Springsteen mit stadiongroßen Chören, wenn auch ohne dessen politisches Sendungsbewusstsein. Dafür lyrisch mit jenem individualistischen Unbehagen ausgestattet, das schon Ragans alte Band mitunter ins Emo-Fach fallen ließ.

Unterm Strich ist das tatsächlich eher so etwas wie akustischer Rock und damit leider auch weniger interessant als beispielsweise der Country-Rock eines Austin Lucas, in dem sich durchaus noch Reste der Burschikosität von Punk wiederfinden lassen, aber auch eine Stimme, die eine intime Beschäftigung mit ihren Country-Anteilen verrät.

Dienstag, 20 Uhr, Modernes

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