: Cowboys, Blondinen, Robben
Pferdesport Mit viel Fußball und noch mehr weiblicher Dominanz enden die Dressur-Disziplinen bei der Reit-EM
aus Aachen Bernd Müllender
Die Menge kreischt, pfeift, johlt. Die laute Musik ist rockig, poppig, peppig. Fullspeed galoppieren die Rösser im Kreis, vollführen rasende Mehrfachdrehungen auf der Stelle („spins“) und kommen aus Höchsttempo im tiefen Sand abrupt in den „sliding stop“. Übungen, die einst zum Handwerkszeug eines guten Cowboys gehörten. Als Reminiszenz ans uramerikanische Gestern dürfen die heutigen Reiter und Reiterinnen die Zügel nur mit einer Hand halten; die andere war für das Lasso. Nur die Rinderherden fehlten bei der sportiven Wildwestromantik in der Aachener Soers.
Dieses Reining ist, wenngleich auf bescheidenem Niveau, Boomsport in der Reiterei. Übersetzt wird Reining mit Westerndressur. Selbst die Wertungsrichter tragen Cowboyhüte, die Durchsagen kommen neben Deutsch in kaugummihaftem Amerikanisch. Mittlerweile ist das Spektakel mit den kleinen, kompakten Pferden, die Broadway Jaba heißen oder Rambo Bo Sun, Teil des offiziellen Programms der Reit-EM.
In der Mannschaftswertung hatten überraschend die Italiener Gold geholt, knapp vor den deutschen Titelverteidigern. Und die Einzelwertung gewann wieder ein Italiener, der 22-jährige Newcomer Giovanni Masi de Vargas aus Siena. Er triumphierte, weil der deutsche Routinier Grischa Ludwig, 41, zwar den mit Abstand spektakulärsten Ritt des Wettbewerbs zeigte, aber mit dem letzten Manöver alles vermasselte. Sein Shine My Gun, ein Quarterback-Hengst mit einer seltenen weißen Ganzkopfblesse, sagte Ludwig nachher, habe „den letzten Stop antizipiert, ihn also etwas vorweggenommen“. Der Vorstopp führte zu einem Doppelhopser. „Das hat mich Gold gekostet.“
Mit Vorstoppern kennt sich auch der Mann aus, der mit der Dressurreiterin Lisa Müller angereist war: Thomas mit Vornamen, Fußballtorjäger aus München. Das Paar lustwandelte auf dem Turniergelände (“wir sind so was wie Stammgäste“), auch über die Areale aus Hunderten weißer Zelte zwischen den Wettkampfarenen. Rund um Place de la Pirouette und Ahlerich-Straße gibt es alles für den täglichen Reitbedarf: Manufaktur-Sättel, atmende Sattelbäume (“100 Prozent Einzelanfertigung“), Einhand-Schweißmesser aus Eschenholz, handverleimt (28,50 Euro), Mistgabeln, Hüte, Hüte und Hüte. Dazu Rostbratwurst statt Rossbratwurst.
Bei den Reinern dominierten die Männer auf herausgeputzten Sätteln, in der klassischen Dressur lagen bei der abschließenden Kür zu Musik auf den ersten vier Plätzen vier Frauen. Es siegte die englische Favoritin Charlotte Dujardin auf dem seifig sabbernden Hengst Valegro hauchdünn vor der starken Deutschen Tina Bröring-Sprehe auf Desperados. Nirgends ein Titel für die Deutschen.
Die großbürgerliche Disziplin-Disziplin Dressur war voller Kuriositäten: Edward Gals Pferd blutete aus dem Maul (angeblich hatte er sich „auf die Zunge gebissen“) und wurde disqualifiziert. Name des Bluters: Glock’s Undercover – die Holländer nennen ihre Pferde ekelhafterweise nach dem österreichischen Knarrenhersteller, ihrem Sponsor. Auf dem Einreiteplatz überschlug sich im Galopp die Spanierin Beatriz Ferrer-Salat samt Ross. Nichts passierte, sie holte am Sonntag Bronze. Und Routinier Isabell Werth, 46, ritt am Samstag beim Grand Prix Special, einer Art Halbkür, ihren Don Johnson kurz in die falsche Richtung: Platz 7 nur. „Da haben bei mir wohl kurzfristig ein paar Gehirnzellen weggeschaltet“, humorte sie. Armes Pferd: „Was kann er auch dafür, dass er eine Blondine im Sattel hat.“ Sonntag wurde sie richtungssicher Vierte.
Beim lahmenden Totilas ist derweil in einer belgischen Tierklinik per Kernspinresonanz (wie kriegt man eigentlich so ein Pferd in die Röhre?) ein Knochenödem im linken Hinterhuf diagnostiziert worden. Hatte im Goldrausch angeblich niemand gemerkt. Der niederländische Trainer spricht von „einer Arjen-Robben-Verletzung“. Das Karriereende ist wahrscheinlich.
Keine gute Zeit für starke Männer. Auch das Reining-Gold war eigentlich an eine Frau gefallen: Goldpferd Dance Little Spook ist eine Stute. Selbst die beiden unbeliebtesten Männer dieser Tage, Eberhard und Florian, beide mächtige Tiefdruckgebiete, blieben außen vor. Während am Sonntag ganz Nordrhein-Westfalen unter intensivem Dauerregen samt Überflutungen litt, blieb eine kleine Region genau bis zum Ende der Wettbewerbe im Südwesten verschont: Aachen. Von wegen klassisches Reitturnier-Schmuddelwetter. Männer hatten nix zu bestellen.
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