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Der IS festigt seine Kontrolle über die Hafenstadt Sirte

LIBYEN Nach der Niederschlagung eines Aufstands stellen die Extremisten getötete Gegner aus

Kämpfer der libyschen Fajr-Miliz beobachten Stellungen von IS-Kämpfern bei der Stadt Sirte Foto: Goran Tomasevic/reuters

TUNIS taz | Die Szenen, die sich seit vergangenem Dienstag in der zentrallibyschen Hafenstadt Sirte abspielen, sorgen in Libyen, aber sicher auch bei Europas Sicherheitsbehörden für Alarmstimmung.

Noch vor drei Monaten hielt der nordafrikanische Ableger des Islamischen Staates (IS) in Muammar al-Gaddafis ehemaliger Hochburg nur strategische Positionen besetzt. Nach der blutigen Niederschlagung eines Bürgeraufstandes am Wochenende ist für die Extremisten nun der Weg zu der ölreichsten Regions Libyens frei, dem Ölhalbmond im Sirte-Becken.

Zur Abschreckung stellten die meist aus arabischen Nachbarländern eingereisten IS-Kämpfer geköpfte und gekreuzigte Anhänger einer Bürgerwehr auf dem Marktplatz der 140.000-Einwohner-Stadt aus.

Der libysche Botschafter in Paris, Shibani Abuhamoud, sprach von einem Massaker an bis zu 200 Menschen und forderte die internationale Staatengemeinschaft auf, zu intervenieren. Politiker der international anerkannten Regierung im ostlibyschen Beida kündigten an, eine Sondersitzung der Arabischen Liga einzuberufen und Luftangriffe wie im Jemen an zufordern.

Truppen aus der 450 Kilometer westlich liegenden Hauptstadt Tripolis und der Handelsstadt Misrata waren im Juni nach mehreren Selbstmordattentaten vor dem IS aus Sirte geflohen, wo die Dschihadisten nun einen 160 Kilometer langen Küstenstreifen kontrollieren. Die Hoffnung der sich bekämpfenden westlibyschen Milizenregierung Fajr und der ostlibyschen Armeeallianz Karama (Würde), die Extremisten würden sich auf den jeweiligen Gegner stürzen, ist gescheitert. Der Islamische Staat könnte schon bald eine dritte Entität zwischen Mittelmeer und sudanesischer Grenze bilden.

„Der IS arbeitet von Sirte aus an einem Nordafrika-Netzwerk und versucht erst einmal, unter perspektivlosen jungen Libyern, Tunesiern und Ägyptern weitere Anhänger zu gewinnen“, äußerte ein Geheimdienstoffizier aus der Nachbarstadt Misrata gegenüber der taz. „Statt an großen Gebieten wie in Syrien sind die IS-Strategen in Libyen eher an Routen und Chaos interessiert.“

Das Massaker von Sirte markiert den Beginn einer Gewaltwelle vor der von UN-Vermittler Bernadino Leon für September angesetzten Ausrufung einer Einheitsregierung in Libyen. Viele Milizen, der IS und ins ­Ausland geflohene ehemalige Gaddafi-Anhänger lehnen den bisherigen Kompromissvorschlag ab und versuchen nun, ihre Einflussgebiete zu erweitern.

In einem Interview mit dem Fernsehsender Libyenkanal berichtete ein Anwohner des Dritten Bezirks von Sirte über die Skrupellosigkeit der neuen Machthaber. Nach dem Mord an einem salafistischen Imam und IS-Gegner hätten junge Männer des Ferjani-Stammes Rache an den ausländischen Extremisten üben wollen, seien jedoch militärisch unterlegen gewesen. Die meisten Ferjani unterstützen Armeegeneral Khalifa Hafter in seinem Kampf gegen eine Allianz aus islamistischen Milizen und dem IS.

„Lange haben viele Li­byen-Experten geglaubt, dass sich der IS in der von Stammessolidaritäten geprägten libyschen Gesellschaft nur begrenzt ausbreiten könne. Doch mit dem wirtschaftlichen Absturz finden immer mehr junge Männer aus ganz Nordafrika bei den Extremisten das, was ihnen die Gesellschaft nicht mehr bieten kann: ein wirtschaftliches Auskommen und Zusammengehörigkeitsgefühl“, meint der Geheimdienstmann aus Misrata. MIRCO KEILBERTH

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