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Gefragtes Handwerk

naturdAch Decker von Reetdächern pflegen eine jahrtausendealte Handwerkskunst, die besonders in Norddeutschland immer noch gefragt ist. Bauen mit natürlichen Materialien liegt im Trend, doch nur wenige junge Menschen lernen diesen Beruf noch. Kommen noch genug Reetdecker nach?

Hofhund Erich räkelt sich in der Sonne und blickt neugierig zu Tarek van Eckeveld hinüber. Der Jung-Geselle schlüpft in seine Knieschoner, nimmt den Klopper und stapft die Leiter zu seinen Kollegen hinauf. „Den Job möchte ich nicht tauschen“, sagt der 20-Jährige und greift sich ein Bund Weserreet. Dann verpassen die Dachdecker dem 200 Jahre alten Bauernhaus in Meyenburg im Kreis Osterholz nach und nach eine neue goldgelbe Naturhaube.

Reetdachdecken zählt zu den ältesten Baugewerken überhaupt –erste Zeugnisse reichen in die Zeit um 4.000 vor Christus zurück. Im Frühjahr wurde das Handwerk zusammen mit 26 anderen alten Bräuchen und Techniken in die Liste des immateriellen Kulturerbes in Deutschland aufgenommen.

Wer einmal etwa auf Sylt durch ganze Villensiedlungen voller Reethäuser gefahren ist, der weiß: Vom Aussterben bedroht ist das Metier nicht. „Wir haben viel zu tun, in ganz Deutschland, bis in die Schweiz“, sagt Tarek van Eckevelds Chef Wolfgang Thiel, der von Lübberstedt im Kreis Osterholz auch zu Kunden weit weg reist.

Pro Jahr machen nach Angaben von Johann Jung vom Berufsbildungsverein des Dachdeckerhandwerks in Lübeck derzeit noch fünf bis zwölf Auszubildende die Gesellenprüfung als Dachdecker in der Fachrichtung Reetdach.

Lübeck ist bundesweit die einzige Reet-Bildungsstätte. Van Eckeveld machte seine Gesellenprüfung im vergangenen Jahr. „Die anderen nannten uns Strohköppe. Aber der Lehrer meiner Reetklasse sagte immer: „Reet ist die Königsklasse. Wer Reetdach decken kann, kann alles andere.“

Dass Strohdachdecker ganz besondere Typen sind, meint auch der Lübecker Ausbildungsleiter Johann Jung. „Sie sind ein bisschen alternativ und haben einen besonderen Bezug zur Natur“, sagt er. Bislang ist das Handwerk allerdings eine reine Männerdomäne. „Frauen haben wir in dieser Sparte noch nicht gehabt.“

Wer mit dem Schilfrohr arbeiten möchte, muss gewisse Voraussetzungen mitbringen. „Man braucht sehr viel Gefühl und ein gutes Auge, damit das Reet sauber liegt“, meint Jung. Auch eine gute körperliche Verfassung, stabile Knie und Knochen, Schwindelfreiheit und Geduld seien wichtig, so Thiel weiter. „Das dauert schon deutlich länger, als wenn man ein Pfannendach deckt. In einer Stunde schafft man rund einen Quadratmeter.“ Thiel ist seit 34 Jahren Reetdachdecker, aber er sagt: „Ich lerne auch jetzt noch was dazu.“

Reetdachdecken ist Handarbeit. Nur die Befestigungstechnik und die Fachregeln haben sich im Laufe der Zeit geändert. „Man legt unten die ersten Reihen an und peilt mit Augenmaß nach oben“, sagt Thiel. Das Reet wird mit Edelstahldraht gebunden und mit Schrauben an den Dachlatten befestigt. „Früher wurde mit Weiden und Haselnussruten gebunden.“ Mit Werkzeugen wie dem Klopper wird das Reet auf Linie gebracht. „Die Halme müssen gleichmäßig liegen und die Hinterlüftung ist wichtig.“

Ein Reetdach hält 30 bis 40 Jahre und wird zwischendurch schon mal gestopft. Einst wurden die Häuser mit Roggenstroh eingedeckt. Heute ist das die Ausnahme, etwa bei Museumsanlagen. „Roggenstroh ist ein ganzes Stück teurer und nicht ganz so haltbar wie Reet“, so Thiel.

Das Wohnen unter solch einem Naturdach ist angenehm. „Im Winter ist es wärmer, im Sommer kühler und man braucht nicht so viel Dämmung“, so Thiel. Gleichzeitig sind Reetdächer ein großes Insektenhotel.

Tarek hat in den letzten Jahren ein Gespür für Maße und Material bekommen: „Man kriegt das Auge dafür.“ Der 20-Jährige mag seinen Job. Seinem ursprünglichen Berufswunsch Fliesenleger weint er keine Träne nach.  (dpa)

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