piwik no script img

Inferno in Tianjin

China Mindestens 50 Tote bei zwei Explosionen in der Hafenstadt

BERLIN taz | Zhang Wei dachte zunächst an ein Erdbeben. Denn der Boden seiner Wohnung im 23. Stock vibrierte. Im nächsten Moment hörte der 28-Jährige erneut einen noch lauteren Knall. Er blickte aus dem Fenster und sah einen gigantischen Feuerball über dem Hafen von Tianjin stehen. Seine Wohnung ist rund 15 Kilometer von der Hafenanlage entfernt.

Zwei Detonationen haben in der Nacht zu Donnerstag die ostchinesische Hafenstadt Tianjin erschüttert und mindestens 50 Menschen in den Tod gerissen. Nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua soll die erste Explosion die Kraft von 3 Tonnen TNT gehabt haben, die zweite entsprach 21 Tonnen des Sprengstoffs. Vom Unglücksort selbst und der unmittelbaren Umgebung kursieren im chinesischen Internet zahlreiche Bilder der Verwüstung. Auf einem nahe gelegenen Parkplatz stehen Hunderte verkohlte Lieferfahrzeuge.

Wohncontainer, in denen Hafenarbeiter untergebracht waren, liegen umgekippt wie Bauklötze verteilt. In einem Radius von mindestens zwei Kilometern sind in den Wohnanlagen aufgrund der Druckwelle sämtliche Fensterscheiben geborsten. Rund um den Hafen von Tianjin gibt es zahlreiche moderne Wohnanlagen und Bürohäuser. Die meisten von ihnen sind nun entglast.

In vielen Krankenhäusern in Tianjin spielen sich zum Teil dramatische Szenen ab. Von Glassplittern verletzte Patienten werden nicht behandelt, weil Ärzte und Pfleger völlig überfordert sind. Angehörige suchen nach Vermissten. Ein Journalist des US-Nachrichtensenders CNN wird bei laufender Kamera vor einer Klinik wahrscheinlich von Sicherheitskräften angegriffen. Es dürfe nicht gefilmt werden.

Noch sind die genauen Ursachen der Explosionen nicht bekannt. Denn die Beamten der Stadtverwaltung waren am nächsten Morgen noch damit beschäftigt, die Zahl der Toten und Verletzten zu registrieren. Offiziell ist bislang von 50 Toten die Rede und mindestens 520 Verletzten, 66 davon schwer. Unter den Toten befinden sich auch zwölf Feuerwehrmänner.

Es wird vermutet, dass in einer Halle Kalziumkarbid lagerte, das in Verbindung mit Wasser leicht explodieren kann. Karbid wird gern für Feuerwerkskörper verwendet. Dass gleich zu Beginn des Unglücks so viele Feuerwehrmänner ums Leben kamen, soll damit zu tun haben, dass diese gar nicht wussten, welch gefährliches Gemisch in der Halle lagerte.

Als die Feuerwehrmänner ihre Wasserlöscher einsetzten, soll es zu weiteren Explosionen gekommen sein. Der chinesische Staatschef Xi Jinping sprach von einer „nationalen Tragödie“ und versprach umfassende Ermittlungen.

Felix Lee

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen