piwik no script img

Halleluja! Kleiner Erfolg für Zeugen Jehovas

Bundesverfassungsgericht Bremen muss neu über die Anerkennung der Weltuntergangssekte beraten

Haben gut lachen: zwei Zeuginnen Jehovas Foto: Bastian/Caro

KARLSRUHE taz | Die Zeugen Jehovas haben beim Bundesverfassungsgericht einen Teilerfolg errungen: In Bremen darf nicht das Parlament über die Anerkennung der Sekte als Körperschaft entscheiden.

Die Zeugen Jehovas haben bundesweit etwa 165.000 Mitglieder. Sie legen die Bibel wörtlich aus und erwarten den baldigen Weltuntergang. Seit 1990 erstreben sie die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Den Status haben neben evangelischer und katholischer Kirche auch rund 30 christliche Gemeinschaften, etwa die Mormonen. Die Sekte wäre dann von Grunderwerb- und Erbschaftsteuer befreit, könnten ihre Gläubigen im Krankenhaus oder Gefängnis besser betreuen oder Kirchensteuer erheben.

Entscheidende Frage im langen Streit um die Anerkennung ist, ob die Zeugen Jehovas „rechtstreu“ sind. 1997 lehnte das Bundesverwaltungsgericht die Anerkennung ab, weil die Zeugen sich weigern, an staatlichen Wahlen teilzunehmen. 2000 hob das Bundesverfassungsgericht dieses Urteil auf: Religionsgemeinschaften hätten keine Pflicht zur Loyalität mit dem Staat.

In einem Musterverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin wurden 2005 dann die übrigen Vorwürfe zurückgewiesen. Nach Auffassung der Richter sind die Zeugen zwar auch bei Kindern gegen Bluttransfusionen, akzeptieren aber, dass der Staat die Transfusion im Ernstfall durchsetzt. Bei einem Austritt aus der Sekte werde zwar der Kontakt abgebrochen, dies gelte bei engen Familienangehörigen aber nur für den Gottesdienst. Auch für kinderfeindliche Erziehungsmethoden konnten die Richter kaum Belege finden. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bestätigte dieses Urteil 2006. Darauf wurden die Zeugen in Berlin anerkannt.

Nun stellte die Sekte auch in den anderen Ländern Anträge. Inzwischen haben 13 Länder die Anerkennung ausgesprochen. Es fehlen noch Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bremen.

In Bremen besteht die Besonderheit, dass für die Anerkennung ein Landesgesetz erforderlich ist. Einen entsprechenden Gesetzentwurf des Senats verwarf die Bürgerschaft 2009 aber mit den Stimmen aller Parteien: Die Vorwürfe gegen die Sekte seien nicht ausgeräumt.

Dagegen erhoben die Zeugen Jehovas Verfassungsbeschwerde und erzielten am Dienstag einen Teilerfolg. Es verstoße gegen das Prinzip der Gewaltenteilung, wenn das Bremische Parlament Einzelfall-Gesetze beschließen könne, entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Dadurch werde auch der Rechtsschutz der betroffenen Religionsgemeinschaften verkürzt, weil gegen Gesetze nur noch das Verfassungsgericht angerufen werden kann. Karlsruhe erklärte deshalb die Vorschrift der Bremer Landesverfassung für grundgesetzwidrig.

Ob die Zeugen Jehovas nun einen Anspruch auf Anerkennung haben, entschied Karlsruhe freilich nicht. In Bremen muss nun also erst die Verfassung geändert und dann ein Verwaltungsverfahren eingeführt werden.

Würde die Sekte anerkannt, könnte sie sogar Kirchensteuer erheben

Eine Minderheit um Gerichts­präsident Andreas Voßkuhle hätte den Zeugen Jehovas direkt geholfen. Die drei Richter argumentierten, dass die Anerkennung in einem Land bundesweite Wirkung haben müsse, wie bei anderen Verwaltungsakten auch. Dann hätte die Anerkennung im Land Berlin alle übrigen Verfahren überflüssig gemacht. Die anderen Richter wollten aber die Kulturhoheit der Länder schützen.

In Baden-Württemberg muss nun das Verwaltungsgericht Stuttgart über eine Klage der Zeugen Jehova gegen die Ablehnung durch die alte CDU/FDP-Regierung entscheiden. In NRW muss wohl sogar das jüngst beschlossene Gesetz zur Anerkennung von Religionsgemeinschaften geändert werden, weil auch dort dem Landtag eine Entscheidungsbefugnis eingeräumt wurde. Christian Rath

Meinung + Diskussion

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen