Die Gewalt erreicht Istanbul

TÜRKEI Anschläge in der Metropole am Bosporus und dem Südosten des Landes fordern Tote. Demnächst sollen gemeinsame Angriffe mit den USA gegen den IS beginnen

Türkische Forensiker im Istanbuler Vorort Sultanbeyli Foto: Akin Celiktas/ap

Aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Die Gewalt in der Auseinandersetzung zwischen dem türkischen Staat und der PKK hat jetzt die Metropole Istanbul erreicht. In der Nacht zum Montag detonierte vor der Polizeistation im Vorort Sultanbeyli offenbar eine ferngezündete Autobombe und brachte fast das gesamte Gebäude zum Einsturz. Zehn Polizisten wurden schwer verletzt. Während Verstärkung anrückte, feuerten Angreifer aus der Distanz auf die anrückenden Sonderkommandos.

Diese durchkämmten daraufhin das ganze Viertel. Dabei wurden nach offiziellen Angaben drei Angreifer und ein Polizist getötet. Bisher hat sich niemand zu dem Anschlag bekannt. Die Behörden gehen aber davon aus, dass es die PKK war.

Wenig später kam bereits die nächste Schreckensnachricht. In Istinye, einem vornehmen Vorort am Bosporus, wurde das US-Konsulat beschossen. Es wurde vor gut zehn Jahren gebaut, weil die alte Vertretung im Stadtzentrum als zu unsicher galt, und sieht aus wie eine Festung. Die Schüsse richteten keinen Schaden an, lösten aber eine Großaktion der Polizei aus.

Bei den Attentätern handelte es sich nach Polizeiangaben um zwei Frauen, von denen eine angeschossen und festgenommen wurde, während die andere anscheinend entkommen konnte. Die Nachrichtenagentur Dogan berichtete, die Frauen gehörten der linksterroristischen DHKP/C an, auf die die Polizei seit Beginn der Großrazzien auf die PKK und IS-Mitglieder ebenfalls Jagd macht.

Unterdessen gingen die Kämpfe im Südosten des Landes und im Nordirak unvermindert weiter. Bei dem Ort Silopi nahe der irakischen Grenze, wo sich PKK-Anhänger und die Gendarmerie seit Tagen heftige Kämpfe liefern, wurde ein Polizeifahrzeug in die Luft gesprengt, vier Polizisten starben. Ein weiterer Soldat starb, als ein Hubschrauber in der Luft beschossen wurde. Wie viele PKK-Kämpfer und -Sympathisanten im Nord­irak und bei Straßenkämpfen in der Türkei in den letzten Tagen getötet wurden, ist weniger genau bekannt.

Während über getötete Zivilisten in kleinen kurdischen Orten überregional kaum berichtet wird, hat das türkische Militär am Wochenende bekannt gegeben, bei den Bombenangriffen im Nordirak seien fast 400 PKK Kämpfer getötet worden. In einem Interview mit einem Korrespondenten der ARD wies der stellvertretende Militärchef der PKK, Cemil Bayık, dies scharf zurück. Es seien nur sieben PKK-Kämpfer umgekommen, allerdings seien viele irakische Zivilisten getötet worden.

Über getötete Zivilisten in kleinen kurdischen Orten wird kaum berichtet

In dem Interview beschwerte sich Bayık auch über die USA, weil diese die türkischen Angriffe auf die PKK dulden würden. Dabei, so Bayık, schadeten die USA aber sich selbst, weil so die effektivsten Kämpfer gegen die Terroristen des Islamischen Staates geschwächt würden. Die PKK kämpft im Nordirak mit den dortigen Peschmerga gegen die Islamisten; in Syrien sind die mit der PKK verbündeten kurdischen Kämpfer der YPG die wichtigsten Gegner des IS und werden deshalb bislang von der US-Luftwaffe unterstützt.

Seit Sonntag ist nach türkischen Medienberichten eine Staffel F-16 Kampfflugzeuge auf der US-Airbase im türkischen Incirlik einsatzbereit. Sie soll künftig gemeinsam mit der türkischen Luftwaffe denIS aus dem Grenzgebiet zur Türkei ­vertreiben. Da Ankara aber auf keinen Fall zulassen will, dass die syrischen Kurden in dem ­Gebiet die Kontrolle ­übernehmen, wird sich bald zeigen, wie sich die USA gegenüber ­ihren bisherigen kurdischen Verbündeten verhalten werden.

Meinung + Diskussion