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Centrum Judaicum: Von Jerusalem nach Berlin

Juden Das historische Gedächtnis der Gemeinde erhält mit Anja Siegemund eine Direktorin

Anja Siegemund Foto: Kumm/dpa

„Von Berlin nach Jerusalem“: So lautet der Titel der Jugenderinnerungen des berühmten Religionshistorikers Gershom Scholem (1897–1982). Darin beschreibt er seinen Weg vom assimilierten deutschen Juden zum überzeugten Zionisten. Scholem zählte auch zu den Initiatoren der Gründung des Leo-Baeck-Instituts in Israel, das sich bis heute um die historische Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Juden bemüht. Damals, in den 1950er Jahren, schien vielen emigrierten Juden eine Rückkehr nach Berlin nach der Schoah als völlig ausgeschlossen.

Von Jerusalem nach Berlin: Dieses Weg geht nun die Historikerin Anja Siegemund. Sechs Jahre lang hat die Münchnerin die Jerusalemer Filiale des Leo-Baeck-Institus geleitet, zuvor war sie an der Universität Haifa tätig. Ab September ist Siegemund neue Direktorin des Centrum Judaicum. Diese jüdische Einrichtung mit Sitz in der ehemaligen großen Synagoge an der Oranienburger Straße ist mit 130.000 Besuchern im Jahr nicht nur ein Touristenmagnet. Dort sind auch große Teile der Hinterlassenschaften Berliner Juden und der Gemeinde archiviert.

Die 48-Jährige tritt in große Fußstapfen, wie sie selbst bei ihrer Vorstellung durch den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, am Montag sagte. Ihr Vorgänger Hermann Simon hat die Institution noch in den letzten Tagen der DDR begründet und dafür gesorgt, dass die Ruine der großen Synagoge nicht eingeebnet wurde, sondern heute ein Zentrum jüdischen Lebens ist.

Unter Simons Regie entstand die Dauerschau, er inszenierte wechselnde Ausstellungen zu jüdisch-deutschen Themen, betreute Buchveröffentlichungen und kümmerte sich um Tausende Anfragen, die aus aller Welt von Nachfahren Berliner Juden eintreffen, die mehr über ihre eigene Geschichte erfahren möchten. Simon (66) ließ sich schließlich dazu bringen, seine Verrentung um ein Jahr zu verschieben, bis die schwierige Suche nach einer Nachfolgerin geregelt werden konnte.

Siegemund sagte, sie sehe durchaus Parallelen zwischen der Arbeit des Leo-Beack-Instituts und dem Centrum Judaicum. Sie möchte das Zentrum noch stärker für Begegnungen öffnen und denkt dazu über die Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirats nach. Zudem sei eine Überarbeitung der Dauerausstellung fällig. Gideon Joffe wiederum erwartet von der Einrichtung, verstärkt SchülerInnen anzusprechen und auch die „positiven Aspekte des Berliner Judentums“ anzusprechen.

Viele Ansprüche also, die in diametralem Gegensatz zum Etat der Einrichtung in Höhe von knapp drei Millionen Euro stehen. Immerhin gab Michael Müller bekannt, dass der Zuschuss des Landes Berlin im kommenden Jahr um 100.000 auf 520.000 Euro vergrößert werde – die erste Erhöhung seit elf Jahren. „Die Finanzen sind sehr knapp“, gab er zu.

Ganz neu ist Berlin für Anja Siegemund nicht. Um das Jahr 2000 arbeitete sie an der Gedenkstätte Wannseevilla, bevor sie nach Israel ging. Hermann Simon hat versprochen, ihr trotz Verrentung mit Rat und Tag zur Seite zu stehen. „Ich bin Gott sei Dank kein Zahnarzt, der seine Praxis einfach zumacht“, sagte er. Klaus Hillenbrand

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