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Diskurs und Alltag

LEBENSRAUM Das Zentrum für Kunst und Urbanistik in Moabit bringt mit Veranstaltungen und Projekten KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen zusammen, die sich mit der urbanen Umwelt beschäftigen

Das Z/KU liegt wie hingeworfen zwischen Wohn- und Industriegebiet

von Beate Scheder

Zufällig kommt keiner hierher. Das langgezogene Backsteingebäude, in dem früher der Güterbahnhof Moabit untergebracht war, liegt wie hingeworfen zwischen Wohn- und Industriegebiet. Vorne raus ist man in ein paar Schritten auf der Birkenstraße, wo sich die gleichen Veränderungen wie in den anderen Innenstadtvierteln zeigen, sich immer öfter schicke Cafés zwischen die Spelunken, Dönerläden und Spielkasinos schmiegen und immer mehr junge Eltern schicke Kinderwagen umherschieben. Nach hinten schaut man von der überdachten Terrasse über den neu angelegten Stadtpark und Schienen hinweg auf das monumentale Gebäude des Westhafens. An dem alten Bahnhof selbst weisen drei Buchstaben über der Tür daraufhin, was dort heute stattfindet: ZK/U steht für Zentrum für Kunst und Urbanistik.

Es ist einer dieser Orte, die unter den schwer zu fassenden Begriff des Projektraums fallen. Selbst unter diesen nimmt das ZK/U eine Sonderrolle ein. Ausstellungen gibt es eher selten, der Fokus liegt nicht nur auf Kunst. „Das ZK/U versteht sich als Labor intermedialer und interdisziplinärer Aktivitäten, die sich künstlerisch und wissenschaftlich mit dem Phänomen Stadt auseinandersetzen“, heißt es in der Selbstbeschreibung. Konkret bringt es in einem Residency-Programm interna­tio­nale KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen, die sich mit dem urbanen Lebensraum beschäftigen, zusammen, und es gibt regelmäßige und unregelmäßige Veranstaltungen, die sich ebensolchen Diskursen und Fragestellungen widmen. Das alles meist angenehm unabgehoben. Bestes Beispiel dafür ist das Speisekino, das einmal die Woche stattfindet und ein kuratiertes Filmprogramm mit passendem Essen kombiniert, denn schließlich verdaut man selbst komplexe Themen besser, wenn dazu etwas Leckeres serviert wird. Das Konzept geht auf. „Mittlerweile hat das Speisekino ein Stammpublikum, das regelmäßig kommt“, erzählt Philip Horst, der das ZK/U vor fast drei Jahren gemeinsam mit Matthias Einhoff und Harry Sachs gegründet hat. In dieser Woche wird das Publikum, das tatsächlich zu großen Teilen in der Gegend wohnt, Filme Beiruter VideokünstlerInnen ansehen, die von dem deutsch-libanesischen Künstlerpaar Franziska Pierwoss und Siska ausgewählt wurden, und libanesisches Fattoush essen. Ein zweites, regelmäßiges Format, der monatliche Gütermarkt, muss sich hin­gegen noch ein wenig etablieren. Auch der Markt richtet sich an ein breites Publikum, ist weit mehr als Flohmarkt, sondern auch Repaircafé, Nähwerkstatt und ein Ort des Ideenaustauschs. Noch sei es etwas ruhig, sagt Horst, der Markt könne gerne noch wachsen. Vielleicht ist es eine Frage der Zeit.

Horst, Einhoff und Sachs arbeiteten schon vor dem ZK/U zusammen. Als Künstlerkollektiv KUNSTrePUBLIK begannen sie 2006 Brachflächen auf dem ehemaligen Mauerstreifen in Mitte mit ihrem „Skulpturengarten Berlin_Zentrum“ zu bespielen. Horst erzählt davon in einem der Büroräume im ersten Stock, die direkt neben den 13 Schlaf- und Arbeitseinheiten der Fellows liegen. Er greift in ein vollgestopftes Regal und kramt einen Katalog hervor. Darin zeigt er eine Fotografie mit rot eingefärbten Freiflächen. Zwischen 2006 und 2010 hatten sie diese für ihre Aktionen, Performances und Ausstellungen okkupiert, heute ist das Gebiet fast vollständig bebaut, nur zwei Bauprojekte mit Eigentumswohnungen sind noch am Entstehen. „Wahnsinn, oder?“, sagt Horst. Der Skulpturengarten Berlin_Zentrum entwickelte sich zu einer Reihe künstlerischer Auseinandersetzungen mit dem öffentlichen Raum und mit den irren Verhandlungen um diesen. „Es wurde immer politischer, weil wir immer mehr hinter die Kulissen geschaut und gesehen haben, wie Land verwertet wird“, sagt er. Gleichzeitig rutschte KUNSTrePUBLIK selbst in eine Art Nomadendasein. Von einem zwischengenutzen Ateliergebäude zogen sie ins nächste. Ein neuer, fester Ort musste her: das ZK/U.

Der Güterbahnhof war damals öffentlich ausgeschrieben. „Unsere Idee war es, diesen Park mit den Ateliers, mit den Künstlern längerfristig zu entwickeln, auch in Interaktion mit den Anwohnern“, sagt Horst. „Längerfristig“ kann man in diesem Fall wörtlich nehmen. Der Fortbestand des ZK/U ist über einen 40-jährigen Erbpachtvertrag gesichert. Nach einer kompletten Instandsetzung eröffnete der Projektraum im Sommer 2012 und ist seitdem dabei, sich in seiner Nische einzurichten. „Es ist eben nicht Kreuzberg, auf der inneren Karte ist es weit weg“, sagt Horst. Für das ZK/U ist die Randlage auch ein Vorteil. Konkurrenzveranstaltungen gibt es im Kiez nicht und man kommt nicht mal eben auf Galerie-Tour vorbei. Wer den Weg auf sich nimmt, macht das gezielt, in dieser Woche zum Beispiel fürs Speisekino oder für den Gütermarkt.

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