Schweißnasse Haare klatschen dich an

SCHWERSTMETALL Summen, brummen, grunzen: Das Drone-Duo Nadja und die Shoegaze-Metalband Sun Worship forderten ihr Publikum am Montag im Urban Spree mit körperlicher Musik zwischen gaaanz langsam und ziemlich schnell

Während erst der Sound der Nacken­starre regierte, wird nun im Publikum schneller gewippt

Ist schon bemerkenswert, was in den vergangenen Jahren in den Musikgenres Metal und Drone passiert ist. Zum einen waren es Untergenres des Metal – Doom Metal, Black Metal oder dessen Verbindung mit dem sogenannten Shoegaze-Sound –, die spannende Bands wie Liturgy oder Deafheaven hervorbrachten; und das, wo man eigentlich dachte, der metallische Rock wanke durch die Gegend wie ein Untoter, der niemanden mehr hinterm Ofen hervorzulocken vermag. Und Drone, diese Musik, die nichts anderes tut als das, was sie verspricht – summen und brummen –, scheint ohnehin die Musik zur Zeit zu sein. Bands wie Earth oder Sunn O))), die am 8. und 9. August im Heimathafen Neukölln spielen, sind erstaunlich angesagt und haben längst die bürgerlichen Feuilletons erreicht.

Auch in Berlin werkeln einige vielversprechende Künstler an diesen Musiken der Zumutung herum – dies war am Montagabend im Urban Spree in Friedrichshain eindrucksvoll zu hören, als dort unter anderem das hier residierende Duo Nadja (eigentlich aus Toronto) und die Berliner Band Sun Worship auftraten. Gut, diese vom CTM Festival und der Initiative Musik kuratierte Show, bei der zudem James Kelly von der Band Altar Of Plagues als DJ auflegte, hat wohl aufgrund des freien Eintritts noch mal ein paar Personen mehr angezogen, als ohnehin gekommen wären; das Interesse an dieser Art von Musik aber ist groß, so oder so.

Der Raum des Urban Spree ist mit etwa 250 Personen gefüllt, der Saal ist bis in den letzten Winkel von Körpern und Körperdünsten ausgefüllt. Es soll ein Abend der Gegensätze werden: Das Duo Nadja beginnt, in lila Nebel eingehüllt, mit lauten, doomigen Tönen ihr Set, das eine Dreiviertelstunde andauert. Gitarrist Aidan Baker und Bassistin Leah Buckareff verharren statisch auf der Bühne, während sie Akkorde anschlagen, die nur im Minutentakt zu variieren scheinen.

Tiefe Grundtöne dominieren, zwischenzeitlich streut Baker ein paar Synthesizersequenzen und spärlichen Gesang ein – oder aber Gefiepse, das entsteht, wenn er mit dem Cellobogen über die Gitarre streicht und die Geräusche durch den Verzerrer jagt. Musik der Dysphorie, man kann zu diesen Sounds nichts anderes tun, als laaaaangsam zu wippen und zu wogen, vielleicht noch zu zucken. Der Zweck: Betäubung.

Neue Offenheit im Metal

Während ich den klebrigen Raum zur Pause verlasse, um auf dem RAW-Gelände ein paar Kubikzentimeter Sauerstoff aufzuschnappen, stelle ich fest, dass draußen noch viele weitere Leute warteten, die Nadja sehen wollten – aber nicht reinkamen. Angenehm an dem neuen Interesse am Metal ist sicher auch, dass das Publikum nicht mehr so homogen ist wie im Metal oft üblich: Eine Blitzanalyse des Autors ergibt: Mischung Berliner Straße. Wobei die Metal-Puristen diese neue Offenheit nicht immer begrüßen, nicht umsonst machte bereits der Begriff des Hipster-Metal die Runde.

Nach kurzer Pause betreten Sun Worship die Bühne, das Tempo verschärft sich gefühlt zehnfach. Nun ist schneller, dynamischer Black Metal mit Einflüssen aus Hardcore und Shoegaze zu hören. Die beiden Gitarristen und Sänger Felix-Florian Tödtloff und Lars Ennsen tun sich neben artistischem Gitarrenspiel mit Grunzen und Schreien hervor – und während zuvor der Sound der Nackenstarre regierte, wird nun im Publikum schneller gewippt, gewogt und, ja, auch gepogt. Schweißnasse Haare landen in den Gesichtern Fremder.

Gemein haben Sun Worship mit Nadja die Kunst der Überschreitung und die Körperlichkeit der Musik, wobei der Sound Letzterer zum ständigen Zappeln einlädt – auch die Barkeeper können kaum stillhalten und sind gebannt vom Treiben der Musiker, das mitunter in Sport ausartet. Nach einer Dreiviertelstunde verlassen die drei Herren erschöpft die Bühne. Und das Publikum ebenso entkräftet den Saal. Jens Uthoff