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Der Vater aller Dinge

Salzburger Festspiele Regielegende Peter Konwitschny feiert mit 70 Jahren endlich sein Salzburg-Debüt und gibt Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexico“ neue Brisanz

von Regine Müller

Die Felsenreitschule ist in gelbliches Licht getaucht. Wie an einem überwachten Grenzstreifen. Auch über den Zuschauerraum, der mehr als 2.500 Plätze fasst, brütet den ganzen Abend über dieses beunruhigende Licht. Das Orchester ist schon da: 50 Musiker verteilen sich im Graben und auf drei Spiel-Inseln im Raum. Die Musiker spielen sich ein, die Trommeln grummeln dumpf. Oder hat es etwa schon angefangen? Dirigent Ingo Metzmacher ist auch schon da und ja, es hat schon angefangen! So beiläufig, wie sich die Bühne belebt.

Johannes Leiacker hat dort Autowracks und Reifen übereinandergetürmt, deren Scheinwerfer müde ins Publikum grüßen. Auf dem Autofriedhof thront ein simples Apartment: ein weiß ausgemalter Wohnraum mit Klippan-Sofa, Bücherregal und Yucca-Palme, eine Tür führt in die dahinter liegende Einbauküche. Dort werkelt Montezuma im Blümchenkleid, ordnet nervös Früchte in der Obstschale, zupft an Teppichfransen. Sie erwartet Männerbesuch. Dann entert Cortez die Bühne, fingert am Rosenstrauß herum, geht vor, zurück, traut sich nicht. Schließlich tritt er doch ein. Beide retten sich in verlegene Übersprungshandlungen, doch innerhalb von Minuten eskaliert die Situation und mündet in einer Vergewaltigung.

Es scheint besonders mutig, das größte und nobelste Klassikfestival mit einer zeitgenössischen Oper zu eröffnen. Doch Wolfgang Rihms 1992 in Hamburg uraufgeführtes Musikthea­ter „Die Eroberung von Mexico“ darf mittlerweile als Klassiker gelten. Die Ursache seiner Beliebtheit spitzt die Salzburger Aufführung geradezu exemplarisch zu: Denn Regielegende Peter Konwitschny, der mit 70 endlich sein Salzburg-Debüt feiert, reizt die postmoderne Offenheit von Rihms Oper bis an die Grenzen aus, krempelt munter um, ignoriert Wesentliches, schießt giftige Ironie-Pfeile ab und dringt doch durch zu neuer Brisanz. Weil es das Werk nicht nur zulässt, sondern dadurch gewinnt. Konwitschny begegnet Rihms artifiziellem Kons­trukt, das von schwerem Surrealisten-Parfüm dampft, mit radikaler Verheutigung. Und weil Rihm an Antonin Artauds Textvorlage, auf der sein Libretto basiert, vor allem dessen Parole „neutral, weiblich, männlich“ reizte, den Kampf der Eroberer in die Sphäre des Geschlechterkampfs zu verlegen, ist Montezuma mit einem dramatischen Sopran besetzt und Cortez wird mit viriler Baritonlage beglaubigt. Recht pauschal und vor dem Hintergrund der heutigen Barock-Renaissance mit ihren alle Gender-Grenzen durcheinander wirbelnden Counter-Tenören geradezu altbacken wirken Rihms musikalische Zuschreibungen: Das Lyrische gehört Montezuma, das Brutale Cortez. Abgesehen von dieser musikalischen Übereindeutigkeit hat sich am Kampf der Geschlechter und am Machtgefälle aber eben wenig geändert. Und das stellt Konwitschny minutiös aus: Die Spasmen des Triebstaus bei Cortez, die Ambivalenzen von Ehewunsch über Unterwerfung, SM-Spiel bis hin zu existenziellem Leiden Montezumas. Die Gewalt innerhalb des Geschlechterverhältnisses ist Spiegel der Gesellschaft und vice versa.

Und in einer brillanten Volte zeigt Konwitschny, dass nicht nur psychologisch betrachtet, der Krieg der Vater aller Dinge ist. Sondern auch medientheoretisch: Wie der Philosoph Friedrich Kittler bereits überzeugend nachwies, zeigt Konwitschny, dass erst Gewalt den technologischen Fortschritt hervorbringt. Wenn Montezuma mit den Folgen der Vergewaltigung niederkommt, zaubern die Geburtshelferinnen unter der Decke mobile Endgeräte hervor. Die Raserei der folgenden Szenen löst sich auf in raumgreifende Videos von Smartphone-Apps und Computer-Kriegsspielen.

Ingo Metzmacher, der bereits die ­Ur­aufführung leitete, bespielt den ­gigantischen Raum souverän und hat selbst martialische Klanggewitter sicher unter Kontrolle

Musikalisch ist der insgesamt hoch virtuose Abend über jeden Zweifel erhaben: Ingo Metz­macher, der bereits die Uraufführung leitete, bespielt den ­gigantischen Raum souverän und hat selbst martialische Klanggewitter sicher unter Kontrolle. Immer wieder gelingen dem ORF-Radio-Symphonieorchester auch ätherische Momente von bestrickender Transparenz. Angela Denoke als Montezuma und Bo Skovhus als Cortez sind beide packende Sängerdarsteller, deren bedingungsloser Körpereinsatz nahtlos verschmilzt mit stimmlicher Intensität. Außerordentliches leisten auch die beiden Begleitstimmen Montezumas (Susanna Andersson, Marie-Ange Todorovitch) und die Sprech-Virtuosen (Stephan Rehm, Peter Pruchniewitz), die Cortez’ Gesang mit fauchendem Geräusch umgeben. Der Chor kommt vom Band und wurde aufgezeichnet anlässlich der Neuproduktion des Werks 2013 am Teatro Real Madrid – eine Reminiszenz an Gerard Mortier, dessen letzte große Produktion diese Aufführung war.

Das Salzburger Premierenpublikum nimmt den Abend und seine Zumutungen willig an, erträgt stoisch die Publikumsbeschimpfungen (“Ihr seht nur Gold, nur Gold …“) und applaudiert frenetisch. Wolfgang Rihm, der beim Schlussapplaus durch die Küchentür auf die Bühne tritt, wirkt sichtlich gerührt.

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