: „Online spielen Rechte keine Rolle“
IM NETZ Den britischen Medienkünstler James Bridle lässt das Thema „Überwachung“ nicht mehr los. In Berlin ist er gegenwärtig gleich in zwei Ausstellungen in der NOME Gallery und den Kunstwerken vertreten
Interview Tilman Baumgärtel
„Wir können das weder bestätigen noch dementieren.“ Diese sphinxenhafte Auskunft erteilte der CIA in den 70er Jahren Journalisten, die sich nach dem Schiff „Glomar Explorer“ erkundigten. Das gebaut worden war, um ein gesunkenes sowjetisches Raketen-U-Boot vor Hawaii zu bergen. Das Projekt war so geheim, dass der CIA den Geschäftsmann und Filmproduzenten Howard Hughes damit beauftragte, das Boot zu bauen. Und dass man auf Presseanfragen nach dem Freedom-of-Information-Act im Bezug auf das Schiffs-Projekt solche kryptischen Auskünfte erteilte. Diese Art, sich aus der Affäre zu ziehen, wurde als „Glomar Response“ bekannt.
„The Glomar Response“ heißt auch die Ausstellung des britischen Künstlers James Bridle, die gegenwärtig in der NOME Galerie in Friedrichshain zu sehen ist. Denn Bridle bekam ähnlich nichtssagende Auskünfte, als er sich bei der Londoner Stadtverwaltung erkundigte, ob während der olympischen Spiele Überwachungsdrohnen eingesetzt worden waren. „Das zeigt, wie sich diese Art, Informationen zu unterdrücken, verbreitet hat: von der paranoiden Haltung des CIA während des Kalten Krieges auf alle Ebenen heute“, sagt Bridle.
Der Schatten der Drohne
Staatliche Geheimhaltung zu unterwandern, gehört zu den wichtigsten Anliegen des Künstlers. In der NOME Galerie ist das Video „Seamless Transitions“ zu sehen, das Orte zeigt, in denen das Fotografieren und Filmen streng verboten ist: ein privat betriebenes Gefängnis für Migranten, ein Berufungsgericht, das über deren Asylanträge entscheidet, und das Flughafen-Terminal, aus dem sie in Abschiebungsflugzeuge verfrachtet werden – alles als digitales 3D-Modell anhand von Plänen und Augenzeugenberichten nachgebaut.
Eine andere Arbeit handelt von Zensur: Mit einem Visualisierungsprogramm hat er die eingeschwärzten Berichte über die Platzierung von Videoüberwachungskamera im Londoner Nahverkehr und den US-Senatsbericht über das Folterprogramm der CIA abgescannt und in Grafiken in den Spektralfarben übersetzt. Die Auslassungen erscheinen als schwarze Flecken in leuchtend bunten Bildern, die man auch für minimalistische Grafiken halten könnte, wüsste man nicht von ihrer düsteren Genese.
In der Ausstellung „Fire and Forget. On Violence“ in den Kunstwerken ist einer seiner „Drone Shadows“ zu sehen: die auf den Boden gemalten Umrisse eines unbemannten Kampfjets, so wie ihn seine Subjekte zu sehen bekommen – und das oft mit tödlichem Ausgang. Im Interview mit der taz sprach Bridle darüber, wie er Technologie und deren soziopolitische Auswirkungen in seiner Kunst thematisiert.
taz: Herr Bridle, die „Drone Shadows“ verlagern Kriegsgeschehen aus Krisengebieten in die friedliche Auguststraße vor den Berliner Kunstwerken. Warum ist es wichtig, militärische Bedrohungsszenarien im zivilen Bereich einer Ausstellung zu zeigen?
James Bridle:Als ich an den „Drone Shadows” arbeitete, wurde mir allmählich klar, dass es gar nicht wirklich um Drohnen geht, sondern um Netzwerktechnologie im Allgemeinen und um deren Effekte. Wenn man von diesen Dingen redet, darf man von Militär nicht schweigen. Denn die haben die avancierteste Technik. Ein großer Teil des Internets kommt daher, darum ist es schwer, dieses Thema zu vermeiden. Mich fasziniert die Fähigkeit von Technologie, Dinge zu entpolitisieren, seien es nun Drohnen oder Facebook. Technik ist sehr gut darin, die unausgesprochene Ideologie, die ihr eingeschrieben ist, zu verschleiern. Wenn man diese Objekte lesen kann, ist die Ausübung von Macht vollkommen unübersehbar. Sie sind daher auch sehr gute Werkzeuge, wenn man erklären will, wie bestimmte Sachen funktionieren. Denn zum erstem Mal in der Geschichte der Menschheit, schreiben wir das als Code nieder, den man lesen kann.
Wäre es nicht besser, solche Themen mit politischen statt mit künstlerischen Mitteln zu verhandeln?
Das eine schließt das andere ja nicht aus. Die „Drone Shadows“ beispielsweise habe ich als Kunstwerk gemacht. Aber ich habe sie als Open-Source-Projekt ins Netz gestellt, sodass jeder sie benutzen kann. Und das haben Gruppen von politischen Aktivisten auch getan. Ich glaube, es gehört zu den Aufgaben von Autoren oder Künstlern, solche Diskussionen nicht den Spezialisten zu überlassen.
In Berlin sind Arbeiten von Ihnen im Kontext konventioneller Ausstellungen zu sehen, aber Sie haben auch Arbeiten gemacht, die nur im Internet stattfinden.
Meine Arbeit „Citizen X“ ist für mich ein Schlüsselwerk, weil es vollkommen online stattfindet. Ich will eigentlich nicht immer wieder auf das Thema der Überwachung zurückkommen, aber gleichzeitig erscheint es mir als eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. „Citizen X“ ist eine Browser-Extension, die sich die physischen Orte der Websites merkt, die man sich ansieht. Dann zeigt sie einem eine virtuelle Staatsbürgerschaft an, je nach dem, wo man gesurft ist.
Aber sind wir dann nicht alle Amerikaner?
Ja, das ist genau das, was die meisten Leute so herausfinden. Das hat selbstverständlich auch immer damit zu tun, wo man herkommt. Wenn man nicht anglophon ist, mag es anders aussehen, obwohl sich natürlich auch viele Server von scheinbar europäischen Websites in den USA befinden. Die Arbeit basiert auf der Methode, mit der die NSA entscheidet, wen sie beobachtet. Die treffen ihre Entscheidungen auf der Grundlage von Browser-Verhaltensmustern, da sie ja nicht wissen, wer man ist. Auf dieser Grundlage sprechen sie einem eine bestimmte Staatsbürgerschaft zu. Das hat wenig mit unserer Vorstellung davon zu tun, dass wir bestimmte Rechte haben, die durch unsere Staatsbürgerschaft geschützt sind. Online spielen diese Rechte keine Rolle.
James Bridle: „The Glomar Response“, bis zum 5. September in der NOME Gallerie, Dolziger Str. 31, Berlin-Friedrichhain „Fire and forget. On Violence“, bis zum 30. August in den Kunstwerken, Auguststr. 69
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen