Pinke Rauchbomben über Spandau

Pop-Göttin Bühnenpräsenz und Insektenbilder: Die isländische Sängerin Björk begeisterte am Sonntag bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert in der Zitadelle Spandau ihre 10.000 Fans mit viel Stimme

Großer Gesang zum roten Kleid: die isländische Musikerin Björk in der Zitadelle Foto: Britta Pedersen/dpa

von Jens Uthoff

Da thront sie also. Während im Hintergrund auf der Leinwand die Raupen und die Schlangen und die Würmer und die Tausendfüßler spazieren gehen und man ihnen dank Makro-Aufnahmen Schritt für Schritt folgen kann, wie sie das Unterholz durchforsten, posiert auf dem Podium davor am fortgeschrittenen Konzertabend dieses isländisch-außerirdische Wesen mit dem roten Kleid, den lila Plateauschuhen und der ebenfalls lila schimmernden Haube – durch die Tonlagen gleitend, dann nur hauchend, als habe sie, die gütige Göttin, sich den Spezies dieser Welt endgültig erbarmt. Macht Euch keine Sorgen, Björk ist da.

Und wie sie da ist. Die Zitadelle in Spandau ist ausverkauft, etwa 10.000 Menschen sind gekommen, um die isländische Künstlerin mit ihrem aktuellen Album „Vulnicura“ live zu erleben. Die fährt alles auf, was sie hat. Das da wäre: die Streicherinnen und Streicher des britischen Heritage Orchestras, das, ganz in Weiß gekleidet, in 18-köpfiger Besetzung auf der Bühne hockt und das die schmalere Rhythmussektion – einen Perkussionisten und einen Soundprogrammierer – etwas in den Schatten stellt. Und dann hat sie noch die überwiegend großartigen Visuals, die einen in voller Bühnenbreite mit den Insekten durchs Gras kriechen oder mit an die Atari-Ära erinnernden digitalen Piktogrammen die Instrumente und ihre Einsätze nachverfolgen lassen.

Wunden zunähen

Am Anfang aber steht: Verwundung. „Vulnicura“, Björks im Januar erschienenes achtes Studioalbum, ist ein Trennungsalbum, mit dem sie das Scheitern ihrer Beziehung mit Partner und Mitmusiker Matthew Barney verarbeitet. Es verbindet im Titel die Begriffe „Vulnus“ (Wunde) und „Cura“ (Sorge).

Der 100-minütige Auftritt von Björk an diesem lauen, mit besten Open-Air-Bedingungen gesegneten Abend soll dann auch eine Mischung aus beidem sein: Erst windet sich die isländische Sängerin, von tiefen, voluminösen Celli, Bratschen und Geigen unterlegt, vor Schmerz, ehe sie sich, während auf der Leinwand eine Wunde zugenäht wird, wieder dem Leben, der Zukunft zuwendet – dann kommen die tanzbareren, älteren Stücke. Schon mit dem ersten gesungenen Vers – dem ersten des Albums – kündigt sie, noch etwas zu leise wegen anfänglicher Soundprobleme, jenes Changieren zwischen den Gemütszuständen an: „A juxtapositioning fate/ Find our mutual coordinate“.

Ein erster Höhepunkt ist das beeindruckende, im Positiven anrührende Stück „Black Lake“, ein zehnminütiger Song, bei dem die Streicher erstmals voll zur Geltung kommen. Sie tragen Björk durch das Stück, während die Pop-Ikone zwischendurch nahezu verstummt – Stille in der Zitadelle, vereinzeltes Johlen –, ehe das Stück noch mal neu ansetzt. Und während man nun fast schon ein klassisches Konzert, unterlegt von wenigen soften Beats, erwartet, kommt doch alles ganz anders.

Denn dann macht eine vorerst vom Liebesschmerz geheilte Björk einen Ausflug in die Neunziger – etwa mit den Hits „5 Years“ vom 1997er-Album „Homogenic“ oder mit „Possibly Maybe“ (1995). Die Songs werden deutlich beatlastiger, der Abend steuert auf den Höhepunkt zu: Björk feuert pinke und türkisfarbene Rauchbomben in den Spandauer Abendhimmel, lässt sich gar von Flammenwerfern umgeben, als wolle sie all die bösen Geister, die mit Trennungsschmerz und privatem Neuanfang verbunden sind, altertümlichen Ritualen gleich in Nebel auflösen. Zurück in die Jetztzeit geht Björk mit „Quicksand“ vom aktuellen Album und mit einigen Stücken von „Biophilia“, darunter das fantastisch dargebotene, großartig gesungene „Mutual Core“.

Röhren, flüstern, summen

Die Songs werden deutlich beatlastiger, der Abend steuert auf den Höhepunkt zu

Björks Gesang ist das eine große Ereignis dieses Abends: Mal, wie in frühen Sugarcubes-Zeiten röhrend, dann flüsternd, dann kindlich-naiv summend. Bei all den zunehmend besser und dominanter werdenden ­Beats, bei all den guten Einsätzen der Streicher ist es doch diese Stimme, bei der man den Eindruck hat, sie führe spielerisch durch dieses Konzert – noch unter den lautesten Dubstep-Beats ist sie klar zu hören.

Nicht nur, aber auch wegen dieses Gesangs hat diese Frau eine Bühnenpräsenz, die einen zeitweise umhaut. Dies wird umso deutlicher, als sie nach einem knapp zweistündigen enttäuschenden Vorprogramm, unter anderem mit DJ und Produzent Arca, auf die Bühne tritt.

Ein ganz großer Konzert­abend gelingt Björk auch deshalb, weil die Visuals zur Musik funktionieren. Da sind zum einen die Computersymbole aus Super-Mario-Zeiten – sicher kann man so was heutzutage spektakulärer inszenieren, aber es wirkt stimmig in seiner Reduzierung. Zum anderen ist da die bei Trennungssongs zwei- oder dreifach auftauchende, animierte Björk auf der Leinwand. Und dann ist da noch das dritte prägende Motiv, die Aufnahmen von Gewürm und kreuchenden und fleuchenden Spezies. Schmetterlinge legen in Zeitlupe Eier – und Björk macht organische Bewegungen dazu.

Bei der Zugabe wird’s dann noch mal retro. Björk spielt eines ihrer sehr wenigen Singalong-Stücke, „Hyperballad“, das das Wechselbad des Abends aber gut zusammenfasst: „I go ­through all this/before you wake up/ So I can feel happier/ To be safe up here with you.“ Das Leben geht weiter. Die nächste Liebe kommt auch. Und die gütige Göttin, die ist schon da.