: „Boule passt einfach gut zu Berlin“
Taz-Sommerserie Trendsportarten (6) Draußen sein in netter Runde: So kann man Boule richtig genießen, weiß Thorsten Beckmann
Interview Gunnar Leue
taz: Herr Beckmann, ist Boule überhaupt ein Sport?
Thorsten Beckmann: Ja und nein. Für die meisten Spieler ist es vor allem ein Spaßspiel und eine Form von Erholung. Andererseits sind, wie bei Schach oder Dart, körperliche Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit gefragt.
Aber man kann beim Boule auch nebenbei ein Bierchen oder ein Glas Wein trinken und klönen?
Genau darum geht’s den meisten. Wenn unser Verein hier am Landwehrkanal am Paul-Lincke-Ufer ein Turnier veranstaltet, grillen wir auch und verkaufen Bier, die Flasche für einen Euro.
Mit Schwips boulen geht auch?
Man darf natürlich nicht besoffen sein, ansonsten ist das kein Problem. Bei den Wettkämpfen aber ist Alkohol verboten.
Gibt’s auch mal Zoff zwischen Spielern?
Ganz selten.
Braucht man einen Schiri?
Nur bei Wettkämpfen. Es geht ja darum, welche Kugel näher an der „Sau“ liegt, und das ist zum Teil Millimetersache. Notfalls fragt man jemanden, der auf dem Nachbarfeld spielt.
Machen gelegentlich Passanten spontan mit?
Ja. Eigentlich ist jeden Tag ab Mittag jemand hier. Der Platz mit seinen 15 Feldern ist ja öffentliches Gelände, auf dem alle herzlich willkommen sind. Im Sommer ist hier immer was los, da sind freitagabends bei unseren Turnieren für jedermann 80 bis 120 Leute hier. Viele Leute kommen regelmäßig, aber seit drei, vier Jahren auch immer mehr neue. Auch der Anteil der Frauen wächst stetig und liegt jetzt vielleicht bei einem Drittel.
Worum geht‘s bei Boule? Eine Metallkugel immer möglichst nah an eine sechs bis zehn Meter entfernte kleine Zielkugel („Sau“) zu werfen. Dabei können die Zielkugel als auch die gegnerischen Kugeln weggeschossen werden. Wer am präzisesten wirft, kriegt dementsprechend Punkte. Wer zuerst auf 13 kommt, hat gewonnen. Ein Spiel dauert 30 bis 60 Minuten.
Wer ist schon dabei? Geschätzt acht bis zehn Vereine gibt es in Berlin. Der 1. Boule Club Kreuzberg hat 65 Mitglieder, auf seinem Platz darf aber jeder mitspielen.
Wo geht’s ab? Auf irgendeiner Fläche von etwa 14 mal 3 Meter, am besten mit Kiesuntergrund, muss aber nicht.
Was braucht es dafür? Sechs Kugeln und zwei Teams mit zwei oder drei Leuten.
Was bringt’s? Spaß, Kurzweil, und vor allem bringt es Menschen zusammen.
Warum zieht Boule zunehmend mehr Leute an?
Früher war Boule nur was für alte Herren, die beim Wein eine ruhige Kugel geschoben haben. Jetzt interessieren sich auch die Jüngeren für diese Freizeitbeschäftigung. Sie passt einfach gut zu Berlin, wo man die Zeit gern auf der Straße verbringt und die schöne Atmosphäre genießt. Außerdem lernt man beim Boule Leute kennen, weil man einfach so mitmachen kann, ohne große Vorkenntnisse.
Was ist der größte Anfängerfehler?
Den gibt es eigentlich nicht. Ich finde, Anfänger spielen sogar recht gut, weil rein aus dem Gefühl heraus. Wenn sie dann ehrgeiziger werden, versuchen sie Kopf und Gefühl zu mischen, und dann wird’s schwierig. Wie bei jeder Sportart muss man natürlich eine gewisse Technik kultivieren, wobei jeder seine eigene hat. Das Problem ist: Gerade wenn man denkt, man kann es, macht man manchmal besonders viele Fehler, weil man nicht mehr entspannt ist. Das führt wiederum zur Verkrampfung. Boule ist ein permanentes Wechselspiel zwischen Entspannung und Fokussierung.
Was ist das größte Glücksgefühl für einen Spieler?
Wenn eine aus zehn Meter Entfernung mit einem schönen Bogen geworfene Kugel direkt auf die gegnerische Kugel draufknallt und die wegfliegt, während die eigene Kugel dicht an der „Sau“ liegen bleibt. Das ist wie Dunking in Basketball.
Woran erkennt man den Weltklasse-Bouler?
Weiß ich nicht. Die richtig guten haben es meistens schon als Kinder gelernt. Das unterscheidet sie von vielen hier auf dem Platz. Wer erst mit 30 anfängt, kann noch gut werden, aber es in die absolute Oberliga zu schaffen ist schwer.
Gibt es Profis?
49, ist Unternehmensberater für kleinere und mittlere Unternehmen und Gründer. Der Westfale lebt seit 1990 in Berlin und wohnt gleich neben dem Boulodrome des Boule Club Kreuzberg, dem er als Präsident vorsteht.
In Frankreich ja. Die Franzosen holen auch immer den WM-Titel. In Deutschland gibt es zwar keine Profis, aber auch eine Nationalmannschaft. Ein deutscher Nationalspieler war sogar mal Mitglied in unserem Verein. Der ist jetzt aber aus sportlichen Gründen zu einem anderen Klub gewechselt. Und der Gründungspräsident unseres Vereins war mal Fünfter bei einer WM.
Ihr Verein existiert bereits rund 30 Jahre, aber die Wiege des Boule in Berlin liegt in Charlottenburg und in Tegel, wo die Franzosen den „Club de Boulistes“ unterhielten?
Das stimmt, und zu denen fuhr damals auch immer ein gewisser Martin Teufel. Der gründete später das Boulodrome hier am Landwehrkanal mit. Seitdem gibt es auch den Verein, dessen Mitglieder sich um alles kümmern. Wir kaufen den Kies – eine feinere und eine gröbere Sorte – und reinigen ihn auch von Hundescheiße und Müll. Dem Urvater des Boule in Kreuzberg zu Ehren findet jährlich im September das Teufelturnier bei uns statt.
Danach ist die Saison praktisch vorbei?
Ach, wir sind alle sehr wetterfest. Wir haben so 20 bis 30 Hardcorespieler, die nicht nur von März bis Ende Oktober spielen, sondern den ganzen Winter durch. Im Grunde sind wir süchtig. Selbst bei hohem Schnee wird dann ein Feld frei geschaufelt. Nur die Kugeln sind bei den Temperaturen schweinekalt, das ist die Hölle. Den Leuten von unserem französischen Partnerverein an der Côte d’Azur haben wir mal Fotos gezeigt mit dem gefrorenen Landwehrkanal im Hintergrund. Schon das Spielen in langen Hosen fanden die aberwitzig.
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