der rote faden : Populismus? Ja, bitte!
Durch die Woche mit
Robert Misik
Seitdem die griechische Syriza-Regierung im Amt ist, wird ihr unter anderem vorgeworfen, dass sie mit einem rechtspopulistischen Koalitionspartner regiert; ein Vorwurf, der auch aus der SPD kommt, die offenbar völlig verdrängt hat, dass sie mit der CSU koaliert. Sollte die CSU einmal einem Staatsbürgerschaftsgesetz zustimmen, das allen Migrantenkindern die Staatsbürgerschaft garantiert, sobald sie sechs Jahre alt sind – genau das hat nämlich der Syriza-Koalitionspartner Anel gemacht –, können wir weiterreden.
Aber der Vorwurf lautet ja, dass Syriza selbst eine schrecklich simplifizierende und populistische Rhetorik pflege. In Deutschlands Regierung käme natürlich nie jemand auf die Idee zu sagen, dass „Deutschland solide“ ist und alle anderen „ihre Hausaufgaben“ machen müssen, „der Grieche“ sowieso nervt und die schwäbische Hausfrau ein Vorbild fürs Wirtschaften ist. Mit Populismus ist es offenbar so wie mit Mundgeruch. Den haben auch immer nur die anderen.
Grundsätzlicher stellt sich die Frage, was so schlimm daran sein soll, wenn die Linke populistisch agiert. Gerade angesichts des konkurrierenden Modells blutleerer Apparatschikparteien, deren Regierungsfunktionäre auf den rein technokratischen Regierungsmodus vertrauen, also das unpolitisch-sachliche Durchregieren von oben. Auf diesen entpolitisierenden Modus, der einst progressive Parteien von ihrer Wählerbasis entfremdet hat, ist der südeuropäische Linkspopulismus ja erst eine Reaktion.
Dessen Ziel ist es, in den Worten von Pablo Iglesias, dem Anführer der spanischen Podemos-Partei, „dass die Linke mehr wie das Volk aussieht“. Das kann ja weder der gemäßigten Linken, die heute eher wie eine Ansammlung von Landesbeamten aussieht, noch der außerparlamentarischen Linken, die meist die Aura von Postdoc-Seminaristen hat, wirklich schaden. Der linke Populismus konstruiert in den Worten von Iglesias ein Wir gegenüber einem Sie – wobei das Wir für das einfache Volk steht und das Sie für die korrupten Eliten.
Der verstorbene argentinische, in Großbritannien tätige Philosoph Ernesto Laclau ist der große Theoretiker eines solchen „linken Populismus“. Für ihn ist Populismus politische Operation. „Wir müssen Populismus als den Weg betrachten, die Einheit einer Gruppe erst zu konstituieren“, schrieb er in seinem Buch „On Populist Reason“ („Über populistische Vernunft“). Der Populismus spricht nicht alle Bürger an (also den populus), sondern vor allem die Plebs, die Unterprivilegierten, die bisher nicht gehört werden. Aber er ist mehr als das, er ist eine Operation, die postuliert, dass „die plebs der einzig legitime populus ist“ (Laclau), und die die demokratischen und die sozialen Rechte der normalen Leute gegenüber den Eliten und den Oligarchen artikuliert. Populismus ist „die Stimme derer, die aus dem System exkludiert sind“. Er stiftet relative Identität unter heterogenen Gruppen, den Gruppen jener, die sich angesprochen fühlen. Populismus, so verstanden, ist eine widerständige Strategie gegen die Hegemonie der neoliberalen Postpolitik. Laclau: Nur der Populismus „ist politisch; der andere Typus bedeutet den Tod der Politik“.
Dieser Populismus spricht also nicht ein bestehendes Volk an, sondern konstituiert es erst; er knüpft Bande der Solidarität zwischen an sich heterogenen Leuten. Die Frage ist, was er damit macht. Formt er eine Anhängerschaft zu einer manipulierbaren Masse? Oder aktiviert er diese Bürgerschaft und setzt sie dem antidemokratischen und autoritären Durchregieren entgegen, das der „technokratische Pragmatismus“ unter Politik versteht? Die Realität spricht da eine klare Sprache: Der sogenannte südeuropäische Populismus etabliert eine vielfältige, lebhafte Zivilgesellschaft, während der technokratische Pragmatismus des Nordens gelähmte, frustrierte Leute schafft, die ihrer Depression in Gestalt des „Wutbürgers“ Ausdruck verleihen. Dieser Populismus spielt auch mit patriotischer Rhetorik, aber vornehmlich auf jene Weise, die der Philosoph Richard Rorty vor 15 Jahren schon von der zeitgenössischen Linken einforderte, auf dass sie wieder zu sagen lerne: „Für unser Land.“
Bruno Kreisky, der große österreichische Sozialist, erzählte einmal, in Skandinavien habe er „sozialen Patriotismus“ kennengelernt. Auch so ein Populist.
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