„Wo ist denn hier ein klarer Puls?“

WELT-MUSIK Beim Klänge-Sammeln in Ostafrika lernte der Hamburger Musiker Sven Kacirek die kenianische Dodo-Sängerin Ogoya Nengo kennen. Am Dienstag sind sie zusammen auf der „Stubnitz“ zu hören

Beeindruckende Sängerin: Ogoya Nengo, 80   Foto: Promo

Interview Robert Matthies

taz: Herr Kacirek, was ist Dodo?

Sven Kacirek: Ein Musikstil, der in der Nyanza-Region in der Nähe des Victoriasees im Westen Kenias gespielt wird. Es ist eine Vokalmusik, die nur von Frauen gesungen wird. In der Regel gibt es eine Hauptsängerin, die von drei, vier weiteren Sängerinnen und ein oder zwei Trommlern begleitet wird.

Welche Rolle spielt diese Musik in Kenia?

Sie hat eine klare gesellschaftliche Einbindung: Sie wird in Situationen gespielt, gesungen und performt, wo sie auch Teil der Aktion ist – auf Hochzeiten, wenn nach der Trockenzeit der erste Regen fällt oder die Ernte eingeholt wird. Oft haben die Texte eine prophetische Funktion: Die Band sagt zum Beispiel voraus, wann der Regen einsetzt.

Wie sind Sie auf Dodo gestoßen?

2008 hat die Choreografin Angela Guerrero ein Tanzstück mit Tänzern aus Äthiopien und Kenia entwickelt. Ich bin gemeinsam mit ihr dorthin gereist, um die Musik dafür vor Ort zu entwickeln. Aber wir waren nur in den Metropolen Nairobi und Addis Abeba – ganz normale Großstädte, in denen man in Cafés und Bars die gleiche Musik hört wie in Berlin, Paris oder London. Johannes Hossfeld, der damalige Leiter des Goethe-Instituts in Nairobi, mit dem ich mich dort angefreundet habe, schlug mir vor, ein Jahr später wiederzukommen, um mich auf die Suche nach Musiken zu machen, die einen klaren kenianischen Ursprung haben, also nach – in Anführungsstrichen – traditionellen Musiken.

Dabei haben Sie auch die 80-jährige Dodo-Sängerin Ogoya Nengo kennengelernt.

Ich bin gemeinsam mit Tabu Osusa, einem Musikproduzenten aus Nairobi, und Raymond Mackenzie, einem Musikwissenschaftler von der Küste, durch das Land gereist und habe dort ganz tolle Aufnahmen gemacht, die dann in mein Album „The Kenya Sessions“ eingeflossen sind. Dabei habe ich unter anderem Ogoya Nengo kennengelernt, in einem Dorf in der Nähe des Victoriasees.

Sven Kacirek

Foto: Sven Grot

40, hat Schlagzeug und Marimba studiert und lebt als Perkusssionist, Komponist, Produzent, Buchautor und Dozent in Hamburg.

Was fasziniert Sie an Dodo?

Als ich Dodo zum ersten Mal gehört habe, war ich fasziniert, weil es mir so fremd war – eine Musik, die man schwer systematisch einordnen kann. Wenn zum Beispiel die Trommler nicht mitspielen, ist man total verloren und weiß nicht, wo ist denn hier ein klarer Puls? Trotzdem setzen die Sängerinnen total präzise ein. Man merkt, da muss eine klare Time vorhanden sein. Aber man checkt als Europäer erst mal überhaupt nicht, wo in dieser Musik die rhythmische Struktur ist. Das war für mich damals eine sehr intensive Erfahrung.

Mit Ogoya Nengo arbeiten Sie bis heute zusammen.

Aus der Reise haben sich weitere Projekte entwickelt. Ich habe Stefan Schneider kennengelernt, der damals im Post-Rock-Trio To Rococo Rot gespielt hat und auch eine Affinität zu vielen Musikkulturen Afrikas hat. Mit ihm bin ich noch dreimal nach Kenia gefahren, um vor Ort Aufnahmen mit KünstlerInnen zu machen, die wir dann veröffentlicht haben, unter anderem mit Ogoya Nengo in ihrem Dorf Ran‘gala Village am Victoriasee.

Erschienen sind die Aufnahmen dann auf dem renommierten Londoner Label Honest Jon‘s.

Für diese Art von Musik ist das ein tolles Label. Darüber haben wir die Booking-Agentur Planet Rock von Christoph Linder in Berlin gewinnen können. Seitdem macht er für Ogoya Nengo sehr engagiert das Booking. Im November und Dezember war sie das erste Mal in Europa, die Tour war sehr erfolgreich, die Konzerte waren voll und die Leute waren begeistert.

„Zu sagen, die junge Generation soll wieder die traditionelle Musik hören, das ist natürlich völlig anmaßend und absurd“

Dodo gerät zunehmend in Vergessenheit. Geht es Ihnen auch ums Aufbewahren?

Das ist ein schwieriges Thema. Die Situation ist wie in vielen anderen Ländern auch: Die junge Generation ist fasziniert von westlicher Kultur und schaut sich lieber auf Youtube-Clips von Hip-Hop-Stars an als Dodo-Musik zu hören. Wenn nun eine Generation ausfällt, weil sie sich eher für Youtube interessiert, dann bricht es natürlich weg. Deshalb gerät eine Musik wie Dodo in Vergessenheit, weil sie kaum archiviert wurde. Der Archivierungsgedanke ist aber ein sehr europäischer, sehr westlicher Gedanke: alles aufzuschreiben und einzuordnen. Ein Gedanke, der mit dieser Kultur eigentlich nichts zu tun hat und dann wieder so eine kolonialistische Einmischung ist.

Stimmt.

Und zu sagen, die junge Generation soll wieder die traditionelle Musik hören, das ist natürlich völlig anmaßend und absurd. Jede Generation hat das Recht und manchmal auch das Bedürfnis, mit dem, was kulturell passiert ist, zu brechen. In den 50er- und 60er-Jahren haben Jugendliche auch hier aus verständlichen Gründen nach dem „Dritten Reich“ alles abgelehnt und Platz gemacht für etwas Neues, für Beatmusik zum Beispiel und später für Punk.

Ogoya Nengo & The Dodo Women‘s Group, Sven Kacirek: Di, 4.8., 20.30 Uhr, MS Stubnitz, Kirchenpauerkai 29