Mobil unter der Discokugel

Im „Festsaal Kreuzberg“ treffen Clubgänger auf bosnische Hochzeitsgesellschaften oder afrikanische Trommler. Das macht ihn zum idealen Ort für interkulturelle Handreichungen. Ein Porträt

VON JAN KEDVES

Es ist ein bisschen so wie auf dem Dorf: Nähert man sich dem Grundstück Skalitzer Straße 130, schießt aus dem Hof sofort ein großer Hund hervor, jagt hinter verzinkten Zaunlanzen auf und ab und kläfft, was das Zeug hält. Bis von drinnen jemand kommt und Entwarnung gibt.

Von der Straße aus mag es hier nach Autowerkstatt aussehen, doch der „Festsaal Kreuzberg“ hat im letzten Jahr eher den Berliner Kulturbetrieb auf Touren geschraubt – mit seinem bunten Programm aus nigerianischen Hochzeiten, türkischen Beschneidungsfeiern und Jens-Friebe-Konzerten.

Es ist Samstagnachmittag, Regen prasselt auf Kreuzberg, um die Ecke am Kottbusser Tor plärrt eine Antifa-Kundgebung, Autos hupen, oben rumpelt die U-Bahn. Ein Hüne mit kurz geschorenen Haaren und „Metalheadz“-Pulli öffnet das Tor: Björn von Swieykowski, einer der drei Männer, die dafür verantwortlich sind, dass seit einem Jahr von einem „Kreuzberg-Revival“ die Rede ist. Zumindest was das Musik- und Nachtleben angeht.

Dabei ist der „Festsaal“ nicht unbedingt eine Kreuzberger Erfolgsgeschichte. Im Grunde ist er eher eine Göttinger Geschichte. Dort, in einem Laden namens „electroosho“, lernte sich das heutige Betreiber-Trio Christoph Nahme, Christopher Schaper und Björn von Swieykowski kennen: Nahme war Betreiber des „electroosho“, Swieykowski veranstaltete dort Drum'n'Bass-Partys und sein Freund Schaper kam gerne mit zu den Events. Vor ein paar Jahren war das.

Ungefähr zur selben Zeit verwandelte Murat Ayvaz, ein türkischer Geschäftsmann, in Berlin-Kreuzberg einen Gemüsemarkt in der Skalitzer Straße zum Hochzeitssaal. Er ließ an drei Seiten des Raumes eine Galerie einziehen und Kronleuchter an der Decke befestigen. Fünf Jahre später hatte sich der „Festsaal“ in den Migranten-Communitys Kreuzbergs und darüber hinaus längst als Raum für traditionelle Feierlichkeiten etabliert. Als sich Ayvaz nun nicht mehr länger um dessen Vermietung kümmern wollte, fiel der Startschuss für die drei Kumpels aus Göttingen: Sie übernahmen den „Festsaal“ samt Hochzeits-Kundenkartei und Wachhund ihres Vorgängers und setzten schnell ihren eigenen Plan um, Konzerte und Partys in den Raum zu holen.

Abgesehen davon, dass der Hund einem angehenden Bräutigam mal etwas zu energisch ans Hosenbein sprang, ist seitdem alles glatt gelaufen. Oma Hans und Mutter haben letztes Jahr im „Festsaal“ gespielt, der Verbrecher Verlag hält hier seine ehemals im Kaffee Burger beheimateten Versammlungen ab, Louisville Records kamen für eine Labelparty mit Jeans Team, Puppetmastaz und Doc Schoko aus der Schönhauser Allee, und Julia Hummer stellte hier erst gestern Abend mit dem Too Many Boys ihre neue CD vor. Aber auch die queeren Feierkids von „Homophobia“ aus dem Kinzo stürmten bereits die Bühne; und dass Heinz Strunk oder das Techno-Label Dial schon mal vorbeigeschaut haben, legt die Vermutung nahe, der „Festsaal“ sei so etwas wie die Berliner Dependance des Hamburger Golden Pudel Klub.

Daneben gibt es wie gehabt ein bis zweimal pro Woche traditionelle türkische, bosnische oder indische Feiern: Würde es nicht so schrecklich abgeschmackt klingen, könnte man glatt von wahrgewordenen Multikulti-Träumen sprechen.

Björn von Swieykowski führt durch den Raum, in dem am Samstagnachmittag junge Männer damit beschäftigt sind, die Wände zu streichen. Der „Festsaal“, das „Juwel am Kotti“, soll in festlichem Dunkelrot erstrahlen. „Über das Grün, das wir hier vor einem Jahr gestrichen haben, gab's von den Hochzeitsgesellschaften zu viele Beschwerden“, erläutert von Swieykowski, „denn auf Fotos vor einer grünen Wand sieht man in der Regel blass und krank aus.“ Details, für die man als Betreiber eines normalen Clubs in Mitte oder Prenzlauer Berg kein Auge haben muss.

Im „Festsaal“ prallen eben unterschiedlichste Bedürfnisse aufeinander – worin dann auch sein dörflicher Mehrzweckhallen-Charme gründet, mit der mobilen Discokugel und dem rustikalen Holzgeländer, das die Galerie in unzeitgemäßer Kiefern-Optik einzäunt. Natürlich, anfangs habe man schon darüber nachgedacht, dieses Geländer zu kaschieren, gibt von Swieykowski zu. Doch dann habe man eingesehen, dass es doch ganz gut zum urigen Charme von Kreuzberg passe. Clubs mit Industriehallen- oder Designer-Ambiente gäbe es in Berlin ja schon genügend.

So planen die „Festsaal“-Macher ihr Programm, nicht zuletzt in der Hoffnung, dabei keinen Zwangsverheiratungen Unterschlupf zu gewähren, denn, das weiß auch von Swieykowski: „Ausschließen können wir das natürlich leider nicht ganz, dazu fehlt uns der Einblick“. Dafür freut er sich umso mehr, wenn hin und wieder „die Wände brüchig“ werden: wenn eine indische Hochzeitsgesellschaft anbietet, man solle sich doch einfach dazusetzen, oder die Nigerianer aus dem Wedding sich für ihr Konzert die Miete der Lichtanlage mit den Organisatoren der Techno-Party am nächsten Tag teilen.

Um genau solche interkulturellen Handreichungen sei es ihnen gegangen, erklärt von Swieykowski. Anstatt wie ein Ufo im „urbanen Wahnsinn“ von Kreuzberg – zwischen den Heroin-Junkies und türkischen Gemüsehändlern, zwischen schwullesbischer Szene und autonomer Antifa – zu stranden, hätten sie genau diesen Wahnsinn noch um eine poplinke Komponente bereichern wollen.

Und dann rutscht es ihm doch über die Lippen – das Wort, das im „Festsaal Kreuzberg“ beinahe greifbar wird: Die Seele, sagt von Swieykowski, die ganz besondere Seele dieses Raumes habe es gegolten herauszuarbeiten. Die Seele eines ehemaligen Gemüsemarktes, in dem mittlerweile unterschiedlichste Menschen auf ihre Arten feiern. Man könnte sie wohl auch einfach als Seele Kreuzbergs bezeichnen.