: Zu den Waffen!
KLANGKUNST Das Schlachtfeld um den Begriff des Jazz ist heiß umkämpft – das Festival A L’arme! führt den Lärm und die Waffen gleichermaßen im Titel. Und will die bisherigen Hörerfahrungen erschüttern
von FRANZISKA BUHRE
Trägt ein Festival in Deutschland das Wort Jazz im Namen oder Untertitel, sind ihm in Teilen der Öffentlichkeit reflexartige Abwehr oder Häme gewiss, derweil sich im oppositionellen Schützengraben die Spezialisten zur Exegese des Programms in Stellung bringen. Denn das Schlachtfeld um den Begriff des Jazz ist aktuell heiß umkämpft. Das Festival A l’arme! führt den Lärm und die Waffen gleichermaßen im Titel. Von 5. bis 8. August ist im Berghain und im Radialsystem V für Musikenthusiasten und AnhängerInnen bestimmter Musikrichtungen die beste Gelegenheit, sich dem Programm aus „Jazz und Soundart“ hinzugeben und mit bisherigen Hörerfahrungen lustvoll zu kapitulieren.
Das Festival ist bedacht und wagemutig zugleich programmiert, es spannt den Bogen von kompositionsbasierter Musik bis hin zu freier Improvisation, es lässt Reibungen entstehen und Widersprüche zu. Der künstlerische Leiter Louis Rastig konnte für die dritte Festival-Ausgabe eine Heerschar von famosen 50 internationalen KünstlerInnen aus 17 Ländern gewinnen, die zeitgenössische Haltungen instrumentalen und elektronischen Spiels präsentieren, kompromisslose Musik abfeuern und transdisziplinäre Dialoge zwischen Musik, Tanz und Film in Gang setzen.
Rastig, 28 Jahre jung, selbst Pianist, gehört zu einer wachsenden Generation neuer FestivalkuratorInnen, die seit Kindertagen Musik von Klassik bis Punkrock aufgesogen haben und eher an den Schnittmengen der Genres interessiert sind als an traditionellen Bastionen vorhersehbaren Musikgenusses. „Von zärtlicher bis heftiger Musik ist alles vertreten“, so Rastig zum Programm. „Im Vordergrund steht das schiere, pure und genussvolle Erlebnis. Lautstärke ist für mich mit Schönheit gleichzusetzen. Im besten Falle transzendieren die musikalischen Akteure Energie, die sich aufs Publikum überträgt und inspiriert.“ Die Voraussetzungen zum Gelingen dieses Unterfangens sind also denkbar gut.
Jeder der vier Abende vollzieht eine eigene Dramaturgie, über sie hinweg ergeben sich Querverbindungen und Resonanzen. Tiefe und füllige Sounds von Bässen und Schlagzeugen sind an drei Abenden präsent. So setzt Colin Stetson bei der Eröffnung am 5. August im Berghain die Luftwaffe seiner Zirkularatmung auf dem Bassaxofon für die gemeinsame Weltpremiere mit E-Basslegende Bill Laswell ein, der schwedische Schlagzeuger Tomas Järmyr trifft im Power-Trio von Massimo Pupillo auf dessen E-Bass und den Baritonsaxofonisten Luca T. Mai. Stetson spielt am zweiten Abend eines seiner legendären Solos, am vierten treffen der E-Bass des türkischen Free-Jazz-Trios Konstrukt auf den Kontrabass des US-amerikanischen Free Jazzers William Parker, das wuchtige Schlagzeug des Norwegers Paal Nilssen-Love auf den äthiopischen Perkussionisten Misale Legesse des Ensembles Fendika, das die Performance mit zwei TänzerInnen befeuert.
Zum Tanz von vier italienischen PerformerInnen in comicartigen Ganzkörperkostümen lässt Demetrio Castellucci am 6. August seine elektroakustische „Black Fanfare“ ertönen, danach kreiert der Video- und Medienkünstler Lillevan auf einer 12 x 6,5 Meter großen Leinwand bewegte Bilder zum Remix der Musik Gustav Mahlers, aufgeführt vom österreichischen Klangkünstler und Gitarristen Fennesz. Im Quartett von Jörg Wickihalder spielt die Schweizer Free-Jazz-Pionierin Irène Schweizer am 7. August auskomponierte Musik am Klavier, anschließend entfachen die jüngeren Frauen der dänischen Band Selvhenter einen lautstarken Sturm freier Improvisationen mit Schlagzeug, Altsaxofon, Geige, Posaune und Elektronik. Am gleichen Abend erweckt die in Berlin lebende US-amerikanische Choreografin Marcela Giesche die Elektronik und E-Gitarre von Yannis Kyriakides und Andy Moor zum Tanz, die Aufführung überführt deren Album „Exfolia“ wieder in einen Live-Kontext, spontane Improvisationen und Interaktionen inbegriffen.
Die Präsenz vieler Künstlerinnen stellt nicht nur die realen Verhältnisse der Musikszene heraus, sie erhöht auch die internationale Strahlkraft des Festivals A L’arme! und ist zukunftsweisend für anderen Festivals im Bereich Jazz und zeitgenössische Musik in Deutschland. Ein Höhepunkt dürfte daher die Uraufführung von „Echo“ am 8. August sein, eine Komposition der Nordrhein-Westfälischen Tenorsaxofonistin Ingrid Laubrock, die seit 2008 in New York lebt. Gemeinsam mit dem jungen zehnköpfigen Berliner Ensemble für Neue Musik, Serenus Zeitblom, erarbeitet sie ihre exklusive Produktion während einer Woche Probenzeit – ein angemessener Luxus für das an Innovationen reiche Festivalprogramm. Für die persönliche Fortsetzung des Hörgenusses sind nicht nur Tonträger der auftretenden MusikerInnen am Stand des österreichischen Labels Trost Records zu erwerben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen