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Archiv-Artikel

Berlin ist nicht Paris, aber …

Krawalle wie in der Pariser und der französischen Banlieue seien in Berlin nicht möglich, meinen die meisten Experten und Politiker. Doch ganz sicher sind sie sich nicht. Eine Spontanumfrage

VON KORBINIAN FRENZEL

Diese Frage drängt sich allen auf. Ist das, was derzeit Nacht für Nacht in der französischen Banlieue geschieht, auch in Berlin denkbar? Die Antwort der meisten Experten lautet: Nein, aber.

So sieht der Streetworker Harkan Aslam große Unterschiede, was das Frustrationspotenzial in Berlin angeht. „Am Kotti“, das heißt am Kottbusser Tor in Kreuzberg, so Aslam, „findet man ein gewisses Aggressionspotenzial.“ Darüber hinaus sei es „unter den Jugendlichen mit türkischem oder arabischem Hintergrund in den letzten Jahren fast schon ein Sport geworden, bei den 1.-Mai-Krawallen in Kreuzberg mitzumachen“.

Anders als in Paris, findet Aslam, der seit elf Jahren in Kreuzberg Jugendliche betreut, seien die Kids in Berlin allerdings nicht politisiert. „Wenn die Betreuungslücke durch den Staat immer größer wird“, warnt er freilich, „helfen andere den Jugendlichen bei ihrer Suche nach Identität. Das sind dann nicht nur religiöse Gruppen, sondern auch politisch Extreme.“

Ein klares „Nein, aber“ gibt es auch von Heinz Buschkowsky. Als der SPD-Bezirksbürgermeister von Neukölln, der immer wieder vorm „Scheitern der Integration“ warnt, die Bilder aus Paris gesehen hat, habe er sich, wie er sagt, keine Sorgen gemacht, dass in Neukölln in naher Zukunft etwas Ähnliches passieren kann. „Ethnische Gettos haben wir bisher nicht“, sagt Buschkowsky zur Begründung. „Selbst in den Kiezen mit einem sehr hohen Ausländeranteil sind es nie mehr als 50 Prozent. Eine physische Ausgrenzung wie in Frankreich, das Gefühl, vor den Toren der Stadt zu sein, gibt es hier nicht.“

Doch das muss nicht auf Dauer gelten, findet der SPD-Politiker. „Wenn wir heute Schulen mit nahezu 100 Prozent Migrantenkindern haben, ist es nur noch eine mathematische Frage, bis ähnliche Ghettoisierungen wie in Frankreich Realität sind.“ Darüber hinaus, so Buschkowsky, „ist die Situation für viele Jugendliche in Neukölln ähnlich perspektivlos wie in den Pariser Vororten.“ Buschkowskys Ratschlag: „In Bildung investieren, damit keine gesellschaftlichen Leerräume entstehen, die von den Falschen gefüllt werden.“

Einen anderen Aspekt schneidet Safter Cinar an, der Vorsitzende des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg. „Wir haben zum Glück keinen Sarkozy“, sagt er mit Blick auf den französischen Innenminister, der die Vorstadtjugendlichen gern als „Abschaum“ bezeichnet. „Selbst die schärfsten Konservativen“, meint Cinar, „achten auf ihre Sprache.“ Aber auch Cinar endet mit einem klaren „Nein, aber“: Zwar münde die Frustration bislang eher in Resignation, aber auch in ein generelles Misstrauen gegen die Mehrheitsgesellschaft. „Wir müssen die Ereignisse in Frankreich als Alarmzeichen erkennen. Auch in Deutschland kann – wenn es schlecht läuft – ein solcher Konflikt schon in wenigen Jahren aufkommen.“

Was die Situation in Kreuzberg betrifft, so habe sich in der Vergangenheit der Dialog bewährt, meint schließlich Quartiersmanagerin Silke Fischer. Wichtigstes Ziel dabei: „Man muss sich von Feindbildern befreien.“ Ist die Situation erst einmal wie in Frankreich eskaliert, gäbe es kaum noch Möglichkeiten zu reagieren. Dann, so Fischer, „kann die Polizei nur noch mit den gleichen Mitteln der Gewalt zurückschlagen“.