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Ozeanische Gefühle und kindliche Freude

Ausstellung Die Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt eine umfassende Werkschau des US-amerikanischen Künstlers Doug Aitken. Seine Videoinstallationen beziehen häufig auch die Betrachter ein

von Shirin Sojitrawalla

Soeben scheinen hier Ufos gelandet zu sein. ­Zurückgelassen haben sie eine ­Kraterlandschaft, in der eine himmelblaue Ursuppe schwimmt, auf deren Oberfläche verheißungsvolle Blasen schaukeln. Von oben reg­nen immer neue Tropfen hinunter, mal vereinzelt, mal ­schauernd, begleitet von höhlen­artigen Plitsch-platsch-Geräuschen, die, aufs Schönste verstärkt, wi­der­hallen. Sphärenmu­sik in der Schirn-Rotunde. Zum Auftakt bereitet uns Doug ­Aitken ozea­nische Gefühle und ­kindliche Freude. Das macht er ­hervorragend.

Einen Sommer lang bespielt der kalifornische Multimediakünstler, der in den Vereinigten Staaten viel bekannter ist als hierzulande, die gesamte Ausstellungsfläche der Schirn Kunsthalle. Es ist die bislang umfassendste Einzelpräsentation seines Werks in Deutschland. Als Einführung taugt seine rund halbstündige Videoinstallation „Song 1“, die er vor drei Jahren für die Fassade des Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington, D. C. erdachte. Auf kreisförmig angeordneten Leinwänden montiert Aitken kurze Sequenzen der Verlorenheit zu einem boulevard of broken dreams heutiger Tage.

Ein elegisches Grundrauschen ist seinen Installationen dabei stets zu eigen. Diesmal dient ihm der Doo-Wop-Hit „I Only Have Eyes For You“ aus dem Jahr 1934, der in zahlreichen Coverversionen neu erklingt, als Grundlage. Dazu sehen wir Bilder aus dem amerikanischen Alltag, Leuchtreklamen, American Diners, Highways. Dazwischen: Paare und Passanten. In ihrer geradlinigen Einsamkeit scheinen sie den Figuren von Edward Hopper seelenverwandt. Sie verfehlen und begegnen sich in Räumen des Übergangs, seien es Parkhäuser, Hotels oder Aufzüge.

Wie bei einem Sonnenbad

Aitken findet Bilder, die der schnulzigen Tonspur ent-, aber auch widersprechen. Auf einmal beherrscht dann – wie immer entzückend und längst auch als Gütesiegel fungierend – Tilda Swinton die Leinwände: Wie von einem anderen Stern prangt sie da, singt oder tut vielleicht auch nur so, als ob. Dem Zuschauer steht es frei, sich in den Leinwandkreis zu begeben oder von außen auf die doppel­sei­tig projizierten Bilder zu ­blicken.

Besser, man tritt ein in den Kosmos von Doug Aitken, legt sich unverfroren hin, wie zum Sonnenbad am Venice ­Beach. Wer es sich hier erst einmal gemütlich gemacht hat, möchte gar nicht mehr aussteigen aus diesem groovenden Film-Loop, dessen Ohrwurm einen herrlich einlullt.

Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße beziehungsweise im nächsten Raum. Dort empfangen uns Aitkens Skulpturen, an die man nicht viele Blicke verschenken möchte. Meist handelt es sich um große Leuchtkästen mit eindeutigen Umrissen. Ein Flugzeug dient als aufgeblasener Rahmen für ein schlicht schönes Über-den-Wolken-Abbild. An einer anderen Wand spiegeln zerbrochene Jahreszahlen 1968 und verweisen nicht nur auf das allerorten verübte Revolutionsjahr, sondern auch auf das Geburtsjahr des Künstlers. Doch auch das verhilft dem Werk nicht auf die Sprünge, es wirkt ein bisschen banal, wie Aitkens Skulpturen überhaupt einen eher schalen Eindruck hinterlassen.

Ganz anders seine Video­in­stal­lationen. In „Black Mirror“ arbeitet er wie so oft mit Spiegelungen, die den Betrachter einbeziehen. Egal wohin er sich stellt oder setzt, er verortet sich unweigerlich inmitten des Kunstwerks: eines schwarzen Spiegelkabinetts, das mit drei Leinwänden an drei Seiten bestückt ist. Auf allen läuft der gleiche Film. Darin sehen wir einer jungen Frau, gespielt von Chloë Sevigny, beim Leben zu. Sie checkt ein und aus, liest ihre Mails, telefoniert, ist immer unterwegs, ohne jemals anzukommen, und wirkt bei alldem auf so routinierte Weise leer und traurig wie Mae Holland in Dave Eggers Roman „Der Circle“. Aitken findet einfache und schöne Bilder für ihre prekäre Unbe­haust­heit und schaut dabei auch ins Unbewusste unserer Gegenwart.

Der Unwirtlichkeit unserer Städte ist er stets auf der Spur, wie auch in seiner auf drei hintereinander aufgestellten Großleinwänden laufenden ­Videoinstallation „migration (empire)“ aus dem Jahr 2008. Darin verzichtet Aitken zwar auf jede Menschenseele, erzählt aber doch viel von ihrer unbedingten Verlorenheit. Zuerst scannt die Kamera langsam eine Landschaft, nimmt dann einzelne Häuser in den Fokus, bis sie sich in verschiedene Mo­telzimmer vorwagt, unbewohnte Räume, in denen die Betten gerichtet sind und auch sonst alles wirkt, als komme gleich jemand oder niemand mehr herein.

Das Wilde und das Gebändigte tritt bei Aitken oft als reizvolles Paar auf

Tanzende Hufe

Urplötzlich wartet ein Pferd im Raum, staunt uns an, während die Kamera dann seine Hufe in den Blick nimmt und ihnen dabei zusieht, wie sie vorsichtig zu tanzen beginnen. Auf dem Fernseher über seinem Kopf jagen gleichzeitig Pferdeherden vorüber. Das Wilde und das Gebändigte treten bei Aitken oft als reizvolles Paar auf. Seine fabelhaften Motelbilder spielen mit dem Wechsel der Perspektive und komponieren die Wirklichkeit neu. In bestimmten Einstellungen wirken die Ansichten wie abstrakte Gemälde, wobei der Sound immer ebenso wichtig erscheint wie das Bild.

Das gilt auch für „Diamond Sea“, seine erste Mehrkanal-Videoinstallation aus dem Jahr 1997, in der er auf mehreren Bildschirmen die Wüste Namib abbildet, ihre Geschichte, Schönheit, Ausbeutung dokumentiert und den Herzschlag dieses Landes für seinen eigenen Filmrhythmus nutzt. 1999 wurde die Arbeit mit dem Goldenen Löwen der Biennale von Venedig ausgezeichnet.

Im Motel wiederum entern gerade zwei weiße Pfauen ein Doppelbett. Diese Wunderwerke der Schöpfung rühren in ihrer makellosen Schönheit wie auch das wüste Land Namibias. Der kleine Waschbär im Becken kommt dann eher putzig daher. Die Tiere mögen vom Einbruch der Natur in unsere Zivilisation künden und von manch anderem mehr. Das scheint aber zweitrangig zu sein, gewährt ­Aitken doch den naiven Blick, ja er fordert ihn geradezu heraus. Seine Installationen sind ungemein attraktiv und erzählen ebenso sehnsuchtsvoll wie ironisch von Ordnungen jenseits des Sagbaren.

Bis zum 27. September, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Der Katalog kostet 32 Euro

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