Seuuuuuuuuuuuuuuufz!

Nichts bleibt einem erspart: Die Vorabend-Telenovela „Sophie – Braut wider Willen“ (ab morgen 18.50 Uhr, ARD) fährt jede Menge Herzschmerz, Styroporschnee und Computeranimationen auf

Ab und zu darf die Serie historisch un-korrekt sein. Da sagt die Zofe „Scheiße“

VON PEER SCHADER

In den TV-Studios Berlin Adlershof steht eine Zeitmaschine, die einen zurück ins 19. Jahrhundert versetzt: in prunkvolle Gutshäuser, Zigarrenklubs, Wirtsstuben und auf den verschneiten Marktplatz der Stadt Ahlen, die es eigentlich gar nicht gibt. Nur daran, dass einige der Menschen mit ihren Zwirbelbärten, historischen Anzügen und Reifröcken vor der Zeitmaschine an Bierbänken mit gelben Plastiktischdecken sitzen, rauchen und Cola aus dem Kühlautomaten dahinter trinken, merkt man, dass hier etwas durcheinander geraten ist.

Doch das muss so sein. Seit anderthalb Monaten dreht Telenovela-Spezialist Grundy Ufa in Adlershof für die ARD die Vorabend-Telenovela „Sophie – Braut wider Willen“, in der Pop-Sternchen Yvonne Catterfeld eine junge Gräfin spielt, die sich in einen Dienstboten verknallt, von den Eltern aber mit einem neureichen Schönling verheiratet werden soll, um die desaströse Finanzlage der Familie aufzubessern. Für weitere Komplikationen sorgt ein Industrieller mit fiesen Koteletten, der eine offene Rechnung mit Sophies Vater zu begleichen hat.

Dass Sophie am Ende ihren Traumboten trotzdem ehelicht, steht fest – nur wie viel Zeit sie sich damit lassen wird, noch nicht. Das entscheiden in dieser Woche die Zuschauer. Stimmt die Quote, gibt das Erste bis Freitag grünes Licht für 90 weitere Folgen. Wenn nicht, bleibt es bei den 30 bestellten und in der kommenden Woche ist Drehschluss in Adlershof. Denn „Braut wider Willen“ ist deutlich aufwändiger und teurer produziert als andere Telenovelas, heißt es bei Grundy Ufa.

Drei Monate hat der Aufbau der Sets gedauert. Allein für Catterfeld wurden 25 Kleider angefertigt, zahlreiche Einrichtungsgegenstände neu gezimmert. „Wir konnten ja nicht einfach in irgendein Geschäft fahren und dort Möbel und Jeansröcke einkaufen“, sagt Producerin Andrea Nedelmann. Die Tapeten sind erst sauber aufgeklebt worden und dann zugeschmuddelt, damit es echt aussieht, und der Holzfußboden ist aufgemalt, weil Holz beim Dreh zu sehr knirscht. Die Parkettgeräusche werden im Nachhinein dazugemischt. Und der patentierte Styropor-Schnee ist aus Großbritannien herübergeweht.

Damit die Serie trotzdem finanzierbar bleibt, greift Grundy-Ufa auf allerlei Computertricks zurück. Sämtliche Sets werden nachträglich am Rechner bearbeitet, um Hintergründe hinzuzufügen und einen Himmel, den es im Studio nicht gibt, weil dort riesige Heliumballons hängen, die Tageslicht simulieren. Die Marktplatzkulisse ist in vier Metern Höhe quasi abgesägt, als habe jemand eine riesige Sense darüber geschwungen. Alles darüber wird per Animation draufgesetzt. Zehn Tage braucht Grundy für vier Folgen „Sophie“ – inklusive Nachbearbeitung. Das ist beachtlich bei diesem Aufwand.

Herausgekommen ist eine zuckersüße Liebesgeschichte, die derart mit Kitsch überladen ist, dass man erst einmal geschockt zuschauen muss, weil man es gar nicht so recht glauben mag. Catterfeld spielt die naive Grafentochter, die sich nicht mit den Regeln ihres Standes abfinden will, und Ben Bela Böhm („Verschollen“) gibt den Dienstboten Max, der die Augen sehnsüchtig gen Himmel dreht, wenn er an Sophie denkt. Im Hintergrund dudelt, klimpert und geigt es unermüdlich vor sich hin, bis man nicht mehr kann vor lauter Süßholzgeraspel.

Dazu stapfen die Protagonisten durch Kulissen, die auch für eine Neuverfilmung von Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte geeignet wären. Die Charaktere sind simpel und berechenbar. Die Guten sagen: „Mag sein, dass ich altmodisch bin, aber es geht mir um mehr als Geld in meinem Leben.“ Die Bösen sagen: „Jeder ist käuflich, es kommt nur auf die Höhe der Summe an.“ Und Sophie schmachtet, nachdem sie ihren Max kennen gelernt hat: „Ich will, dass dieser Tag niiie endet.“

Das Erstaunliche: Der ganze Popanz ist nicht weiter schlimm. „Braut wider Willen“ ist hübsch inszeniert und erfüllt einfach die Erwartungen, die man an eine romantische Serie am Vorabend haben kann, in der alle so tun, als hätten sie vor 200 Jahren gelebt. Dazu muss die Telenovela nicht mal historisch korrekt sein: Sophies Zofe Rieke darf auch mal „Scheiße“ sagen, und wenn das Büro von Bösewicht Hartenstein eher aussieht wie aus Fritz Langs „Metropolis“ als aus dem vorletzten Jahrhundert, hat das sogar einen gewissen Reiz. Vor allem geht’s halt um die Lovestory.

„Wenn es im Winter früh dunkel wird, kann man sich aufs Sofa setzen und besonders gut in die Märchenwelt von Sophie hineinträumen“, glaubt Producerin Nedelmann. Stimmt. Mehr aber als ein harmloses Märchen ohne Tiefgang ist „Braut wider Willen“ nicht. Bleibt bloß noch die Frage, warum die ARD ihre Telenovela ausgerechnet auf dem Sendeplatz zeigt, an dem sie zuvor erfolgreich ein deutlich innovativeres Format wie „Berlin, Berlin“ etabliert hat. Vielleicht ist Programmdirektor Günter Struve aber nach den ganzen Zeitreise-Dokusoaps wie zuletzt „Abenteuer 1927“ auf den Geschmack historischer Stoffe gekommen.

Und allen Lolle-Fans, denen es bei „Sophie“ den Magen umdreht, sei gesagt: Das „Berlin, Berlin“-Autorenteam arbeitet längst an einer neuen Serie, die ähnlich spannend werden soll wie der Vorgänger. Sie heißt: „Liebe, Liebe“ – wahrscheinlich geht es am Vorabend einfach nicht ohne.