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Späte Anklage in der Türkei

Justiz Die junge alleinerziehende Mutter wollte selbstbestimmt leben: Gut zehn Jahre nach dem Mord an Hatun Sürücü in Berlin klagt die türkische Justiz zwei Brüder an

von Astrid Geisler

BERLIN dpa/taz | Der Bruder muss sich sehr sicher gefühlt haben, als er vor gut einem Jahr ein Kamerateam in seine Istanbuler Wohnung ließ. Mutlu Sürücü, ein freier Mann, trotz internationalen Haftbefehls: „Hass war schon da, auf jeden Fall“, sagte er den rbb-Reportern. Seine 2005 ermordete Schwester Hatun habe schließlich den falschen „Lebenswandel“ gepflegt und „Unzucht“ verübt. Nur eines bestreitet der Mann im Interview mit den deutschen Journalisten: seinem jüngsten Bruder die Mordwaffe besorgt zu haben.

Nun allerdings ist Mutlu Sürücü in der Türkei gemeinsam mit einem weiteren Bruder doch noch wegen des Mordes an ihrer Schwester Hatun Sürücü angeklagt worden – rund zehn Jahre nachdem die 23 Jahre alte alleinerziehende Mutter nach drei Schüssen in den Kopf an einer Bushaltestelle in Berlin starb. Zu dem Mord hatte sich ihr jüngster Bruder bekannt. Er wurde dafür zu einer Haftstrafe verurteilt, die er inzwischen abgesessen hat. Die mutmaßliche Tatbeteiligung zweier weiterer Brüder blieb jedoch bisher juristisch für diese folgenlos.

Das könnte sich nun ändern. Berlins Justizsenator Thomas Heilmann sei vom Bundesamt für Justiz über den Schritt der türkischen Behörden informiert worden, sagte seine Sprecherin Claudia Engfeld und bestätigte damit einen Medienbericht. Demnach erhob die Generalstaatsanwaltschaft Istanbul am 10. März Anklage vor dem 10. Schwurgericht der Stadt ­wegen Mordes zum Nachteil eines Familienangehörigen. Wann der Prozess beginnt, ist noch unklar.

„Dass nun in der Türkei Anklage erhoben wurde, ist ein wichtiges Signal: Man kann sich durch Flucht nicht der Strafverfolgung entziehen“, sagte der CDU-Politiker Heilmann. Auch Renate Künast, Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, sprach von einer „lang ersehnten Nachricht“. Die Anklage sei nicht nur ein Zeichen des Respekts vor der Selbstbestimmung von Frauen, sagte die Grünen-Abgeordnete. „Tätern in Deutschland wird jetzt auch die Botschaft gesandt, dass sie sich dem Strafverfahren nicht entziehen können, indem sie sich in die Türkei absetzen.“

„Die Anklage ist ein wichtiges Signal“

Justizsenator Thomas Heilmann

Hatun Sürücü war am 7. Februar 2005 in Berlin von ihrem jüngsten Bruder erschossen worden, weil die Familie den westlichen Lebensstil der jungen Frau abgelehnt hatte. Die junge Mutter hatte sich nach einer Zwangsehe von ihrem ersten Mann getrennt, das Kopftuch abgelegt und ihren Sohn in Berlin allein aufgezogen.

Der sogenannte „Ehrenmord“ an Hatun Sürücü hatte eine bundesweite Debatte über Integration und Parallelgesellschaften ausgelöst. Der Todesschütze wurde im Sommer 2014 nach verbüßter Haft nach Istanbul abgeschoben. Seine Brüder nahm er stets in Schutz und versicherte, die Tat alleine geplant und verübt zu haben. Seine jetzt angeklagten Brüder waren dennoch seit Jahren international zur Fahndung ausgeschrieben, nachdem sie sich in die Türkei abgesetzt hatten.

Beide waren 2006 in einem ersten Prozess in Berlin aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Der Bundesgerichtshof hob die Freisprüche 2007 auf. Zu einem neuen Verfahren kam es aber wegen ihrer Flucht nicht mehr. Die türkische Seite leitete 2013 ein eigenes Strafverfahren gegen die beiden Männer ein.

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