: Attentäterin ist indentifiziert
TÜRKEI Nach dem Massaker von Suruçverstärkt die Regierung die Militärpräsenz an der Grenze zu Syrien. Die Polizei geht gewaltsam gegen Trauerkundgebungen vor
Aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH
Nach Angaben des amtierenden Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu hat die Polizei den Selbstmordattentäter von Suruçidentifiziert. Es werde nun nach Verbindungen im In- und Ausland gefahndet. Auch wenn es noch kein Bekennerschreiben gebe, gehe die Regierung davon aus, dass der Islamische Staat (IS) für das Attentat verantwortlich ist.
Davutoğlu, der am Dienstag den Schauplatz des Attentats in Suruçbesuchte, gab auch bekannt, dass sich die Zahl der Todesopfer auf 32 erhöht hat. Etwa 20 junge Leute liegen noch lebensgefährlich verletzt in den umliegenden Krankenhäusern.
Nach Angaben türkischer Medien soll es sich bei dem Selbstmordattentäter um eine Frau gehandelt haben. Hürriyet berichtete, die Tatortspezialisten hätten einen Finger der Attentäterin gefunden. Die Frau könnte zu einer Gruppe von drei IS-Terroristinnen gehört haben, vor denen türkische Dienste bereits vor Wochen gewarnt hätten.
Auf einer Sondersitzung des Kabinetts am Mittwoch soll über verstärkte Grenzsicherungsmaßnahmen beraten werden. Die Anzahl der an der Grenze zu Syrien postierten Soldaten wurde bereits erhöht. Während die Oppositionsparteien der Regierung schwere Vorwürfe machten, forderte Davutoğlu alle vier im Parlament vertretenen Parteien zu einer gemeinsamen Erklärung auf. Man müsse der Absicht der Terroristen, einen Bürgerkrieg in der Türkei anzufachen, entgegentreten.
Davutoğlu reagiert damit vor allem auf die linke kurdische HDP, deren Anhänger am Montag zu Opfer des Massakers geworden waren. Der Kochef der HDP, Selahattin Demirtaș, warf der Regierung nicht nur mangelnde Sicherheitsvorkehrungen gegenüber IS-Attentaten vor. Er erinnerte auch daran, dass die AKP-Regierung und Präsident Tayyip Erdoğan in der Vergangenheit immer wieder den IS gegen die Kurden in Syrien unterstützt hätten. „Die Regierung steckt mit dem IS unter einer Decke, wir müssen uns selbst schützen“, sagte er. Demirtaşerinnerte auch an das Attentat auf die Wahlkampfveranstaltung zwei Tage vor der Wahl am 7. Juni, bei dem vier HDP-Anhänger getötet worden waren und das wahrscheinlich ebenfalls auf das Konto des IS ging.
Am Montagabend hatte die Polizei außerdem Trauerkundgebungen von HDP-Anhängern in mehreren Städten gewaltsam aufgelöst. Vor allem in Istanbul reagierte die Polizei auf einige Tausend Demonstranten mit Tränengas und Knüppeleinsatz. Für das kommende Wochenende ruft die HPD nun zu einer Großveranstaltung in Istanbul auf.
In dieser Atmosphäre wird es für Davutoğlu noch schwerer, die am Wochenende begonnenen Koalitionsverhandlungen mit der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP zur Bildung einer Großen Koalition fortzusetzen. Die CHP fordert eine massive Änderung der bisherigen Syrienpolitik, infolge der die Türkei nach Meinung des CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu direkt in den syrischen Bürgerkrieg hineingezogen wird. Das dürfte aber Davutoğlu und Erdoğan schwerfallen, die bislang nicht davor zurückgeschreckt sind, sich mit Killern des IS zu verbünden, um so Syriens Präsident Assad zu stürzen.
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