Portrait: Der Schuldner
Er spielt herausragend gut Handball, ist äußerst beliebt bei seinem Club, dem Handballmeister THW Kiel – und möchte sich trotzdem von ihm verabschieden: Rückraumspieler Filip Jicha möchte vorzeitig zum FC Barcelona wechseln. Die Begründung für seinen Wunsch ist mit einem selbstkritischen Geständnis verbunden. Er habe sich vor ein paar Jahren auf dem Immobilienmarkt verspekuliert und sei mit Blick auf seine Familie dringend darauf angewiesen, künftig deutlich mehr Geld als in Kiel zu verdienen, erklärte er im Interview mit den Kieler Nachrichten. Es darf gegrübelt werden, ob dieses Vorgehen als naiv, dreist oder beides zugleich einzustufen ist.
Der Versuch von Jicha, seine missliche Lage in dem Interview zu erklären, war nicht nur von Erfolg geprägt. Viele treue THW-Fans sind in den sozialen Netzwerken damit beschäftigt, seinen medialen Auftritt als Bettel-Interview zu verspotten. Der Grund: Selbst wenn Jicha, wie er verrät, 40 Prozent seines aktuellen Gehalts zum Tilgen von Schulden verwenden muss, bleibt der Familienvater Großverdiener. Der Kapitän des THW ist zwar schon 33 Jahre alt, aber immer noch ein sehr wertvoller Mann. Er bekommt als monatliches Salär, das ihm Erstliga-Krösus Kiel bis 2016 garantiert ist, einen satten sechsstelligen Betrag. Von dem können ganz, ganz viele Handballprofis und ganz viele normale Familien nur neidisch träumen.
Als Sportler und Familienvater, findet Jicha, müsse er eigentlich in Kiel bleiben. Als Schuldner jedoch sei ein Wechsel zum schwerreichen FC Barcelona für ihn Pflicht – und zwar schon in der kommenden Woche. Besseres Gehalt, besseres Wetter, bessere Absicherung im Krankheitsfall: Seine Argumente sind nur in Teilen stichhaltig. Aber insgesamt klingen Jichas Wechselabsichten deutlich durchdachter als seine missglückten Immobiliengeschäfte.
Der FC Barcelona ist in jedem Fall der FC Bayern München des Handballs. Das gilt für seinen sportlichen Erfolg und für seine Zahlungsfähigkeit. Aber muss man dringend zu den Katalanen wechseln, wenn Schulden drücken? Vielleicht sollte Jicha den THW Kiel ganz plump und lieber direkt fragen, ob er von ihm noch mehr Geld als bisher bekommen kann.
Christian Otto
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
