WIR STECKEN ALLE TIEF DRIN, KAUFEN UND WOLLEN AUCH BESITZEN. DANN WIRD ES SCHWIERIG: Was Menschen können und Füchse nicht
Fremd und befremdlich
KATRIN SEDDIG
Eigentum ist ein Konstrukt. Es gab mal eine Zeit, da gab es kein Eigentum. Irgendwann fing dann einer an, zu behaupten, dass etwas, Land zum Beispiel, ihm gehöre. Vorher gab es das nicht, dass ein Stück vom Land einem Menschen gehörte. Oder einem Fuchs oder einem Hecht. Wenn Füchse und Hechte das könnten, Dinge behaupten, dann täten sie das vielleicht auch, dann gehörte jetzt ein abgeteiltes Stück vom Ozean einer Auster und ein Stück Berg einem Steinbock. Und wir dürften da nicht einfach so draufrumklettern oder drin schwimmen, denn das gehörte uns ja nicht.
Diese Behauptung wurde modern, und dann gehörte ganz rasch den ersten, die gierig waren, das meiste vom Land und so ist es jetzt immer noch. Jetzt ist es so, dass fast alles irgendwem gehört. Auch Wasser soll bald jemandem gehören.
Wenn man davon ausgeht, dass das in Ordnung ist, dass Dinge, wie Platz auf der Erde, jemandem gehören können, egal, ob ein Mensch das für sich braucht oder jemals brauchen kann, und egal auch, ob er überhaupt vielleicht nur Schlechtes damit anstellt, wenn man das also richtig findet, dann findet man es vermutlich nicht richtig, dass Leute einfach kommen und ungenutztes Eigentum für sich nutzen.
In urbanen Räumen kommt das häufiger vor. Leute ziehen wo ein, um dort zu wohnen, zu arbeiten, zu erfinden und zu reparieren, Kunst zu machen, Musik zu machen, zu reden und Widerstand zu leisten, gegen das Konstrukt des Eigentums. In Hamburg gibt es immer noch die Hafenstraße und gibt es immer noch die Rote Flora und gibt es seit Kurzem das Kollektive Zentrum „Koze“ im Münzviertel. In den Räumen einer Gehörlosenschule hat sich da was Neues gegründet, die aufmüpfigen Kinder werden ja immer wieder neu geboren, und wollen neue Orte für sich finden, wollen nicht alle mitwandern, im Strom der Angepassten, und da gründet sich dann also so ein neuer Ort des Widerstandes und sieht aus wie die alten. Man fragt sich, wie man dazu steht, man ist ja selbst kein Kind mehr, man hat sogar schon ein bisschen Eigentum, und hätte selbst ganz gern ein Haus. Wenn man selbst so ein Eigentum hat, eine Wohnung gekauft, ein Grundstück erworben, dann fragt man sich, wie man dann dazu noch stehen kann. Dann wird es schwierig. Wir stecken alle ja ganz tief da mit drin, wir kaufen und wir wollen dann auch besitzen.
Die derzeit von den Leuten des „Koze“ genutzte Kita der ehemaligen Gehörlosenschule im Münzviertel ist vom Verein „Kunstlabor naher Gegenden“ immerhin regulär gemietet worden, auch wenn der Verein nur einen geringen Betrag für Betriebskosten zahlt. Nun ist das Gelände allerdings schon einem Investor versprochen, der Wohnungen bauen will und der fürchtet, dass die derzeitigen Nutzer sich, wenn es so weit ist, nicht vertreiben lassen werden.
Jetzt steht da schon mal die Polizei, sperrt ab und es soll schon auch mal ein bisschen was abgerissen werden. Zu diesem Zweck werden Kunstsachen weggerissen und das alles ist schon auch provokant. Vielleicht muss das sein, vielleicht ist wirklich Asbest in der Schule. Und, die CDU fürchtet, eine zweite Rote Flora würde entstehen. Da muss man was machen, da muss man durchgreifen, nehme ich an.
Man selbst sieht sich das an und hat seinen Spaß dabei. Man hofft, die Leute von der „Koze“ lassen sich nicht, natürlich nicht, einfach verjagen. Die gemeinschaftliche, öffentliche Nutzung von einem ehemals öffentlichen, sozialen Gebäude ist möglicherweise richtiger und auch wichtiger, als die Verfolgung von Privatinteressen.
So ein Projekt trägt auch nicht zum Unfrieden bei, sondern es erhöht den Lebenswert eines Viertels, einer Stadt. Vielleicht ist die Angst, die damit einhergeht, eine tiefsitzende, vor der allgemeinen Enteignung.
Vor der Idee der Gemeinschaft, das ist ja tatsächlich gefährlich für ein bestimmtes anderes System.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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