: Champagne, my Lord!
Feine Pinkel In London treffen sich Anhänger der Retro-Chap-Kultur und frönen dem kultivierten Wahnsinn. Bei der „Chap Olympiad“ treten sie in Disziplinen an, die nur dem Namen nach sportlich sind
von Jenni Zylka
Nicht Tennis zu spielen ist eine Kunst. Lord Blakeney beherrscht sie perfekt: Anstatt den Ball mit dem altmodischen Racket über das rudimentäre Tennisnetz zu treiben, lässt er sich die Schuhe polieren (Spielstand: 15:0), schnippelt an den Saiten der Schlagfläche herum (30:0) und stopft seine Pfeife (40:0). Spiel, Satz und Match gewinnt er aber erst mit seinem nächsten Coup: „Lord Blakeney hat soeben angefangen, einen Roman zu schreiben“, kommentiert der Moderator und erklärt den Kandidaten mit Hut, Schnauzer und Beau-Brummell-Anzug unter fröhlichem Gejohle des Publikums zum Sieger.
Denn die Regeln von „Not Playing Tennis“, dem letzten Wettkampf der „Chap Olympiad“ die am Samstag zur Sicherheit noch mal am Veranstaltungsort – dem Londoner „Bedford Square“-Park – aushingen, besagen: „Spieler in Liegestühlen absolvieren eine Partie Tennis, während sie mit wichtigeren Aufgaben wie Zeitunglesen oder Pfeifestopfen beschäftigt sind.“ Lord Blakeney, dieser Fuchs, kennt sich eben aus mit den Abgründen der Chapkultur.
Bohemian Retro-Lifestyle
Ein Chap, wie man ihn im Britischen aus den Phrasen „old chap“ oder „my dear chap“ kennt, ist mit dem Ausdruck „alter Junge“ nur unzureichend übersetzt. Denn Chap bedeutet so viel mehr: In dem seit 1999 alle zwei Monate erscheinenden Magazin The Chap, dessen Macher seit zehn Jahren die alljährliche „Chap Olympiad“ ausrichten, geht es um Einstecktücher und Cricket, um die Veränderung des Schnauzbartes in Zusammenhang mit der Entwicklung Barcelonas und um die Eleganz in der äußeren Erscheinung des Hollywood-Cowboys.
Die ersten Seiten des 70-seitigen, mit stilvoller Werbung (Londoner Herrenschneider, Teesalons) aufgefüllten A5-Heftes werden von der Rubrik „Am I Chap?“ dominiert, in der aspirierende Möchtegern-Chaps ihren Stil von berufener Redaktionsseite auf Chaptauglichkeit prüfen lassen können, indem sie ein Foto von sich einsenden. Und die Redaktion kennt keine Gnade: Unter dem Bild eines ernst zur Seite blickenden Glatzkopfes mit Pfeife und Nadelstreifenanzug, der, wie er schreibt, wissen möchte, ob es in textiler Hinsicht „mit ihm weiter und höher hinaus geht“, wird geantwortet: „Mein Herr, Sie bewegen sich in die richtige Richtung, obschon nur sehr langsam. Wir können Sie nicht auffordern, sich Kopfhaar wachsen zu lassen, aber bitte erwerben Sie sich einen Hut“.
Very British
Chapsein heißt eben immer auch, die Verhältnisse zu parodieren: Als Vorbild, das man mit dieser Art Freizeitgestaltung und Dresscode gleichzeitig ehren und brechen will, dienen die staubigen, konservativen britischen Chaps und Chapettes des letzten Jahrhunderts, die steifen Lords und Ladys aus den Adelshäusern, genauso wie alle exzentrischen, gamaschentragenden Peacocks und Dandys seit Beau Brummell und Oscar Wilde.
Und über die haben sich in Großbritannien, das – im Gegensatz zu Deutschland – problemlos den Spaß an historischen Retro-Figuren nutzt, immer schon kreative Köpfe vergnüglich lustig gemacht: Die „Chap Olympiad“, die nach Eigenaussage „den eleganten und unathletischen Sportler feiert, bei dem die Krawatte Priorität vor verschwitztem Lycra hat“, versetzt einen in einen Monty-Python-Sketch, in dem ein schnauzbärtiger Uniformträger umständliche Regeln verliest oder in eine Folge „Mit Schirm, Charme und Melone“, in der ein irrer Exkolonialist mit Safarianzug und Monokel auf der Lauer liegt.
Es geht um Stil
Bei den Spielen auf dem von einem gusseisernen Zaun begrenzten Grün nimmt man es – trotz zur Schau gestelltem Snobismus – dann aber doch nur beim Dresscode ganz genau: Mit (moderner) Sportkleidung oder gar Jeans und T-Shirt käme niemand hinein – nicht mal der echte Lord Blakeney (wobei es diese Art der Bekleidung im 18. Jahrhundert nicht gab). Dass sich sogar die wenigen JournalistInnen und Kinder unter den etwa 400 BesucherInnen „for the occasion“ herausgeputzt haben oder, wenn sie aus Altersgründen in Sachen Kleiderauswahl noch nicht entscheidungsmächtig sind, in Original-Vintage-Kinderwagen liegen, zeigt die wahre und tiefe Leidenschaft der Chaps und Chapettes.
Ein feiner Pinkel Ende 20 mit Strohhut, Streifenjackett und Brosche am Halstuch, der im echten Leben für eine Bank arbeitet, erklärt: „Es geht hier nicht um Eitelkeit, es geht um Stil!“ In der gemeinsamen Hingabe an vergangene Zeiten, textilen Ausdruck und den britischen Humor vereinen sich Reneegirls in langen Spitzenkleidern, tätowierte Rockabellas und Ex-Mods mit Menschen, die tatsächlich einem Cricketclub angehören.
Und auch mit Original-Chaps, die einen Witz zu nehmen wissen: Ein Mann um die 70, in Kapitänsuniform mit Mütze und Gehstock, verzieht angesichts des „Umbrella Jousting“ (auf Fahrrädern dreschen zwei KandidatInnen mit Brieftasche und Regenschirm aufeinander ein, bis eineR vom Rad fällt) keine Miene.
Eine Jugendszene ist das Chaptum keinesfalls. Für modeaffine Männer, die in vielen Kreisen genau dafür verlacht werden, ist es stattdessen die Möglichkeit, sich erbarmungslos und ohne Rücksicht auf Gendervorgaben herauszuputzen.
Kollektiv angeschickert
Früher am Nachmittag – die Spiele begannen offiziell um zwölf Uhr – zeigt ein beleibter Pfeifenraucher bereits, was eine Harke ist, also wie man die „Corby Trouser Press Challenge“ gewinnen kann. Bei diesem Wettkampf müssen sich die Kandidaten in einer Art Hosenbügel-Staffellauf ihrer Beinkleider entledigen, sie in eine Hosenpresse hängen, zur nächsten Presse eilen (besser schlendern, ein Chap rennt nicht) und dort die Hose des Kandidaten vor ihnen anziehen. Diese müssen sie dann an der nächsten Station wechseln – und so weiter.
Da die Natur den Menschen unterschiedliche Figuren geschenkt hat, ist das Ganze nicht nur wegen der Absurdität der Idee grandios unterhaltsam. Der Pfeifenraucher gewinnt an der ersten Bügelmaschine, denn „er trägt Sockenhalter und ist somit eindeutig Sieger“, wie der Moderator trocken feststellt.
Das Publikum der ausverkauften Veranstaltung ist einverstanden und applaudiert, als in der Pause eine Zwei-Chap-Band ein paar Swingstücke spielt, und zwischen den Songs als gemeinsames Motto „Champagne!“ in die Menge ruft.
Man ist bestens gelaunt und kollektiv angeschickert, auf den sich vor Scones, Obst und Käse biegenden Tischen und den karierten Picknick-Decken stehen Pitcher mit Pimm’s Lemonade – eines der gefährlichsten essenziellen Chap-Getränke, weil es kaum nach Alkohol schmeckt, aber amtlich betüddelt. Zu jeder vollen Stunde gibt es in einem kleinen Zelt eine Gratis-Champagner-Verkostung aus hübschen Plastikkelchen.
Die Preise sind ansonsten erwartbar londontypisch: ein Glas Schampus kostet 8 Pfund, der große Pitcher Pimm’s ist mit 15 Pfund verhältnismäßig günstig und rinnt die Kehlen herunter wie Wasser. 20 Pfund haben die Tickets gekostet und vermutlich wird ein Großteil des Gewinns in die Ausgaben und Auflagen fließen, die eine solche Veranstaltung mit sich bringt (die Dixieklos in der Parkecke waren kaum chaptauglich zu machen).
All hail the Chap!
Nach der beliebten „Ganovenjagd“ (Damen jagen in Tweed und Nadelstreifen gewandete Ganoven und fangen sie mit einem Netz ein) und dem Antitennis werden die SiegerInnen, auch für das „beste Outfit“, gekürt. Ein zauberhaftes, in hellgrauem Dreiteiler gekleidetes John-Steed-Double gewinnt bei den Herren, bei den Damen überzeugt eine Lady mit ausgestopfter Ente als Fascinator in grellorange gefärbten Haaren.
Und als die Dämmerung das traditionelle Ende der Veranstaltung ankündigt, swingen gutgekleidete Menschen zu ihrem Lied: „Give your pipe a tap / park your rattle trap / raise your hat or cap / all hail the Chap!“
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