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Archiv-Artikel

„Das ist unser täglich Brot“

Im so genannten Ehrenmordprozess sagt eine Pädagogin der Eberhard-Klein-Schule aus. Einer der drei angeklagten Brüder hat die Kreuzberger Oberschule besucht. Er habe dort undemokratische Positionen vertreten, sagt die Zeugin

Das schwarze Kopftuch tief in das bleiche Gesicht gezogen, sitzt Songül Sürücü im Zuschauerraum. Statt zur Schule zu gehen, verfolgt die 15-Jährige den Prozess um den Mord an ihrer älteren Schwester Hatun. Auf der Anklagebank sitzen drei ihrer Brüder. Was in Songül vorgeht, lässt sich nur erahnen. Eine Sozialpädagogin ihrer Schule sagte gestern als Zeugin, Songül habe bei ihr einmal Rat gesucht. Rat, was ein streng religiös erzogenes Mädchen wie sie tun müsse, um aus einem traditionellen kurdischen Elternhaus wegzukommen.

Das war längere Zeit vor Hatuns Tod gewesen. Diese Frage sei nicht ungewöhnlich, schob die Sozialarbeiterin hinterher. „Viele Jugendliche fragen uns das.“ Songül habe das Thema danach auch nicht mehr erwähnt.

Die Sozialpädagogin Katrin B. arbeitet an der Eberhard-Klein-Oberschule im Kreuzberger Wrangelkiez. Die integrierte Haupt- und Realschule hat mittlerweile einen Migrantenanteil von 100 Prozent. Nicht nur Songül, auch der jüngste der Sürücü-Brüder, der 19-Jährige Ayhan, hat bis vor zwei Jahren diese Schule besucht.

Ayhan ist dort als Vertreter von radikalen islamistischen Positionen negativ aufgefallen. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 habe Ayhan in der Schule ein Plakat aufgehängt, sagte die Zeugin. Verantwortlich für den Anschlag seien „die Juden und die Ungläubigen“ – Bin Laden sei unschuldig, habe Ayhan darauf handschriftlich vermerkt. Andere Schüler hätten das Plakat unterschrieben. Nach Angaben der Sozialpädagogin mussten sich Ayhan und die anderen Unterzeichner daraufhin in mehreren Sitzungen mit einem Pädagogen der Schule mit ihrer Position auseinander setzen. Ayhan, der sehr gläubig sei, habe bereitwillig mitgewirkt, so die Pädagogin. Das Ganze sei bei ihm aber nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Letztlich habe er seine Positionen weiter vertreten. Was das angehe, sei Ayhan kein Einzelfall, sagte Katrin B. „Es ist unser täglich Brot, uns mit undemokratischen Positionen auseinander zu setzen und mit Ansichten, was die Ungleichheit von Mann und Frau betrifft.“

Lediglich vom Hörensagen vermochte die Zeugin zu berichten, dass Ayhan in der Schule auch für eine Veranstaltung einer Organisation geworben habe, die über Berlin hinaus Bedeutung gehabt haben soll. Die Frage, um welche Organisation es sich dabei gehandelt haben könnte, wurde vom Gericht wie zumeist, wenn es in dem Verfahren um politische Fragen geht, nicht vertieft. Die Annahme liegt nahe, dass es sich um eine Veranstaltung der inzwischen verbotenen islamistischen Organisation Hizb ut-Tahrir handelte. Von der Veranstaltung, die im Oktober 2002 in der TU stattfand, existieren Filmaufnahmen. In einer Sequenz ist im Publikum Ayhan zu sehen. Dessen 23-jährige Schwester Arzu – im Prozess Nebenklägerin – sitzt im Frauenblock.

Nach dem Vorfall mit dem Plakat wurde Ayhans Vater zu einer Aussprache in die Schule bestellt. „Wir haben ihn aufgeklärt über unsere Werte und dass wir solche radikalen Positionen an der Schule nicht dulden können“, so die Zeugin. Eine Diskussion mit dem 64-jährigen Mann sei aber nicht möglich gewesen. Es habe Verständigungsschwierigkeiten gegeben, sagte die Sozialpädagogin. „Ich selbst spreche Türkisch. Er spricht mit einem starken türkischen Akzent.“ Das sei aber nicht der einzige Grund gewesen. Ayhans Vater sei sehr erregt gewesen. Fragen, ob sein Sohn fundamentalistisch unterstützt werde, habe er empört zurückgewiesen. Später habe der Mann seine Emotionen mit „Nervenproblemen“ entschuldigt.

In der Familie Sürücü war Katrin B. nur einmal. Nach Hatuns Tod war Songül nicht mehr zur Schule gekommen. Auf Wunsch des Vaters versuchte die Pädagogin mit dem Mädchen zu reden. Vergebens. „Sie war sehr schockiert über den Vorfall, hat aber sehr wenig gesprochen.“

PLUTONIA PLARRE