: „Nun ist Schluss“
Die ehemalige Leichtathletin Ines Geipel bezichtigt das Nationale Olympische Komitee des eindeutigen Rufmords
ERFURT taz ■ Für Ines Geipel gibt es keinen Zweifel. Die einstige Weltklasse-Sprinterin des DDR-Sportclubs Motor Jena spricht von „eindeutigem Rufmord“, wenn sie die Äußerungen kommentieren soll, die am Rande des von der ehemaligen DDR-Schwimmerin und Dopingopfer Karen König angestrengten Schadenersatzprozesses gegen das Nationale Olympische Komitee (NOK) gefallen sind (siehe taz vom 3. 11.). Die DDR habe ihr Zwangsdopingsystem mit Wissen der Athleten und/oder deren Eltern umgesetzt, hatte dort der NOK-Rechtsanwalt Günter Paul behauptet. So seien die Eltern „oft intensiv in den Trainingsprozess und alles, was drumherum war, einbezogen“ gewesen. „Das war bei jedem Sportler so, auch bei Karen König“, wurde der Anwalt unter anderem in der Süddeutschen Zeitung zitiert.
Bei einer Diskussionsrunde in Erfurt zum Thema „Wie weiter mit der Aufarbeitung im Sport?“ widersprach Ines Geipel dieser Darstellung vehement. „Das ist nicht nur zynisch, sondern auch falsch“, stellte die Schriftstellerin und Professorin für Deutsche Verssprache fest. 16 Jahre nach Mauerfall und nach zahlreichen Dopingopfer-Prozessen müsste dies auch dem Nationalen Olympischen Komitee bekannt sein.
Ines Geipel, die wie König Nebenklägerin im Prozess gegen die Verantwortlichen des Staatsplanthemas 14.25 zum flächendeckenden Hormon-Einsatz im DDR-Sport war und selbst Dopingopfer ist, hatte kürzlich eine längst überfällige sportpolitische Klärung angestoßen. Auf den Antrag, ihren Namen aus den Rekordlisten zu entfernen, reagierte der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) überraschend: Er richtete eine Kommission ein, die alle Rekorde aus Ost und West auf Sauberkeit prüfen soll. Geipels Begründung, ein solch vergifteter Rekord könne heute kein Maßstab mehr sein, wollten sich die Leichtathletik-Funktionäre nicht entziehen.
Umso mehr zeigt sich die ehemalige Sprinterin von der Auffassung des NOK irritiert. Trotz ihrer bekannten Dopingspätschäden bügelte NOK-Anwalt Paul Karen König regelrecht ab: „Zara Leander hatte auch eine tiefe Stimme“, erklärte der unter anderem, „aber sie hat bestimmt nicht gedopt.“
„Klare Gerichtsurteile, ein unmissverständlicher wissenschaftlicher Erkenntnisstand und die hohe Zahl der Geschädigten reichen dem NOK offenbar nicht. Nun ist Schluss“, konterte Geipel bei der von der Thüringischen Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen, Hildigund Neubert, initiierten Debatte. Man könne nicht alle fünf Jahre „bei Minus null anfangen“, so Geipel: „Das NOK hat die Möglichkeit, das klarzustellen, ansonsten wird es juristische Konsequenzen geben.“ Im Übrigen könne man dem NOK nur raten, „sich von einem Anwalt wie Herrn Paul zu distanzieren. Möglich, dass der Mann glaubt, er mache seinen Job gut. Doch der Schaden für das NOK ist enorm, wenn es bei derartigen Einfühlungsversäumnissen wie diesen abstrusen Falschaussagen bleibt“, sagte Ines Geipel.
Sie verwies erneut auf die prekäre Situation der Geschädigten. „Es gibt aktuell über 600 Dopinggeschädigte, und die Zahl steigt weiter.“ Viele der Opfer würden „ständig am Suizid entlangschrammen“, benötigten professionelle Hilfe und die Solidarität der Gesellschaft. „Das NOK sollte Verantwortung übernehmen, anstatt wie bisher so dümmlich zu mauern“, forderte Geipel. Die Opfer seien keine Querulanten, „nur weil sie auf die Schäden des Effizienzsports“ hinwiesen.
Erfahrungen mit „kaum spürbaren Selbstreinigungskräften“ vermittelte in Erfurt auch der ehemalige Thüringer Skilanglauf-Spitzentrainer Henner Misersky. Als Beleg verwies er auf zahlreiche Stasi-Mitarbeiter, die nach wie vor in hohen haupt- und ehrenamtlichen Funktionen im Thüringer Sport aktiv seien. Seine Forderung, belastete Systemträger nicht aus Steuermitteln zu finanzieren, sei vergeblich gewesen. Fazit: „Niemand stört sich an den Tätern, aber die Opfer interessieren bis heute nicht.“ Die Stasi-Beauftragte Neubert forderte die Sportverbände auf, „sich endlich ihrer Verantwortung zu stellen und eine offensive Aufarbeitung zu betreiben“. Zu viel Zeit sei schon vergangen. Hildigund Neubert sagte: „Die Opfer haben es verdient, dass die Gesellschaft ihnen den gebührenden Respekt zollt und sie unterstützt.“
THOMAS PURSCHKE