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„Wissen verschüttet“

AUFARBEITUNG Historiker diskutieren über mediales Erinnern an das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945

Foto: FZH
Axel Schildt

64, Historiker, ist seit 2002 Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte und lehrt an der Uni Hamburg

taz: Herr Schildt, wie gestaltet sich heute das mediale Erinnern an das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945?

Axel Schildt: Es hat sich verändert, aber nicht in eine Richtung. Denn es gibt keinen kontinuierlichen Zuwachs an Informationen, sondern das Erinnern folgt geschichtspolitischen Konjunkturen. Als Historiker ist man erstaunt, dass etwas, das 1980 klar zu sein scheint, jetzt wieder vergessen ist. Da werden ganze Kontinente an Wissen verschüttet.

Ein Beispiel?

Der Hamburger Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hat in den 1980ern gesagt, es sei Zeit für die ganze Wahrheit. Man müsse die alten Legenden – Hamburg sei als Kaufmannsstadt stets liberal gewesen und der Nationalsozialismus hier nicht so schlimm – abräumen. Heute haben wir diese Legenden wieder auf dem Tisch, weitgehend unwidersprochen von den Medien. Auch werden die Funktionseliten des Nationalsozialismus wieder als Retter Hamburgs gefeiert, etwa im Zusammenhang mit der kampflosen Übergabe der Stadt 1945.

Wie ist das zu erklären?

Das hängt mit einer generationellen Verschiebung zusammen. Wer vor 20 Jahren in den Fünfzigern war, ist heute im Ruhestand und hat Zeit, sich seiner Familiengeschichte zu widmen. Dabei geht man natürlich politisch korrekt vor und sagt pflichtschuldigst, die Nazi-Diktatur und der Holocaust seien furchtbar gewesen. Aber dass eventuell Angehörige unter den Tätern waren, versucht man weit wegzuschieben.

Was aufersteht, sind die Reinwaschungs-Legenden.

Ja. Dabei gibt es eine strenge Trennung von zeitgeschichtlichem Wissen und der Verteidigung der eigenen Herkunft. Und man kann nicht mal sagen, die Leute seien boshaft oder verstockt – aber der eigene Anteil wird abgetrennt. Es gibt den Buchtitel „Opa war doch kein Nazi“ von Harald Welzer, der genau dies bezeugt: Das Familienalbum und der Katalog der sagbaren Dinge – das ist getrennt. Man weiß heute, was man zu sagen hat. Keiner würde mehr sagen, die Nazis haben Autobahnen gebaut. Aber die Frage, wer dabei war, wird abgetrennt. So entsteht ein merkwürdiges Bild dieser Gesellschaft, das letztlich antiaufklärerisch ist und nicht hilft, wenn man über heutige Gefahren von Neofaschismus nachdenkt .

Interview: PS

„Die Erinnerung an 1945 in den Medien 2015 oder was bleibt?“ Podiumsdiskussion mit den Medienhistorikern Frank Bösch, Magnus Brechtken und Axel Schildt: 18.30 Uhr, Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Beim Schlump 83

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