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Es gehet eine kleine Wolke auf

Konzert In der schützenden Bärenhöhle der Hochkultur: Der Rias Kammerchor beendet seine Saison furios mit Mendelssohns „Elias“. Es ist das Abschlusskonzert des Chefdirigenten Hans-Christoph Rademann

Der Dirigent Hans-Christoph Rademann in Aktion Foto: Holger Schneider/Rias Kammerchor

von Katharina Granzin

Die menschliche Zivilisation ist doch ein evolutionärer Irrweg, denke ich missmutig, als ich mich am Sonntagabend bei 34 Grad auf gequält quietschendem Fahrrad Richtung Konzerthaus verfrachte, derweil das kleine Schwarze mir am Leibe klebt. Der Bär sitzt bei diesem Wetter schön in seiner Höhle, der Vogel träge im Nest, der Wurm verkriecht sich unter der Erde – nur der Mensch hält seine Schulstunden, Redaktionspläne und Konzertprogramme ein. Rein biologisch gesehen, ist das nicht nur sinnlos, sondern kontraproduktiv.

Allerdings verfügt ja Schinkels Schauspielhaus zum Glück, darin einer Bärenhöhle ähnlich, mit dem Konzertsaal über einen großen, fensterlosen Innenraum, der immerhin eine gewisse Kühlung gewährt. Dennoch können einem all die Männer auf der Bühne leidtun, die – der allergrößte zivilisatorische Unsinn – im Frack auftreten müssen. Der weibliche Teil der Spezies verfügt da immerhin über mehr kulturell akzeptierte Möglichkeiten.

Oratorium als Regentanz­ersatz

Die Musik dagegen macht an diesem Abend keine überflüssigen Schnörkel. Felix Mendelssohn-Bartholdys Oratorium „Elias“ ist ein dramatisch-dialogisch gedachtes Werk, in dem der Komponist sich nicht mit Ouvertüren und dergleichen Instrumentalzierrat aufhält, sondern umstandslos die Sänger zu Wort kommen lässt. Als der Prophet Elias zu Beginn prophezeit: „Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen“ und der Chor klagt „der Sommer ist dahin, und uns ist keine Hilfe gekommen“, da stellt sich sogar ein ganz unmittelbarer Zusammenhang mit der unbarmherzigen Hitze da draußen her. Auch ein Oratorium ist in gewisser Weise wohl nur eine Weiterentwicklung des frühkulturellen Konzepts Regentanz.

Es ist der letzte Abend der Konzertsaison für den Rias Kammerchor und das allerletzte Konzert für Hans-Christoph Rademann in seiner Funktion als dessen Chefdirigent. 2007 hatte er die Leitung des Chors übernommen – neben weiteren Verpflichtungen, wie das im Konzertbetrieb so ist. Neben dem Dresdner Kammerchor, den Rademann 1985 als Student gegründet hatte, leitet er seit zwei Jahren auch die Internationale Bachakademie Stuttgart. Er setzt sich auch für Neue Musik ein, ist aber vor allem ein ausgewiesener Spezialist für Alte Musik. Für den „Elias“, ein Werk der romantischen Epoche, als Orchester die Akademie für Alte Musik zu verpflichten, mit der Rademann schon oft zusammengearbeitet hat, ist dennoch eine offensiv programmatische Entscheidung.

Der „Elias“ ist ein echtes Paradestück für die Frauen und Männer des Rias Kammerchors

Mendelssohn war es ein Anliegen, mit seinen Oratorien an die Epoche der großen Barockkomponisten Bach und Händel anzuknüpfen. Rademann zeigt an diesem Abend überzeugend, dass es sehr gut möglich ist, den Romantiker Mendelssohn auch klanglich an seine historischen Vorbilder anzunähern. Er versachlicht so weit wie möglich, meidet jede Effektemacherei in der Dynamik, nimmt die Tempi sportlich und setzt insgesamt die Musik auf einen Grundpuls, dessen Bewegung organisch aus sich selbst heraus zu geschehen scheint und nicht von äußerer Affektgebung getrieben ist – aber das ist sicher ein Grundprinzip, das den MusikerInnen der Akademie für Alte Musik so im Blut liegt, dass der Dirigent dazu kein Wort verlieren muss.

Ähnlich natürlich mit dem Chor. Der „Elias“ ist ein echtes Paradestück für die Frauen und Männer des Rias Kammerchors, die in den großen Chorstücken nicht nur ihren wundervoll homogenen Ensembleklang (auch wenn im Stimmgruppen-Rating zum Beispiel der Tenor, verglichen mit dem schlank-schönen Sopran, mitunter recht kraftstrotzend auftrumpft), sondern in den zahlreichen Kleingruppennummern ihre solistischen Qualitäten zeigen können. Der „Elias“ ist ein grandioses Sängerstück. Es ist allerdings auch ein Oratorium, das sich in konstantem Dialog mit Gott befindet. Mit dem niederländischen Bariton Thomas Oliemans hat Rademann einen Elias von wirklich alttestamentarischem Stimmvolumen besetzt, mithilfe dessen er diese Gottanrufung sehr nachdrücklich vollzieht. Dennoch fehlt etwas.

Das dramatisch-gefühlvolle Element, das Sentiment, das die romantischen Sologesangspartien eben auch haben, kommt in den differenziert gestalteten Beiträgen von Marlis Petersen (Sopran), Lioba Braun (Mezzo) und Maximilian Schmitt (Tenor) mitunter sehr berührend zum Ausdruck. Doch ausgerechnet die im Zentrum liegende, tief gefühlte Gottessehnsucht, die Mendelssohn seinem Titelhelden in herzergreifenden lyrischen Arien komponiert hat, bleibt an diesem Abend ungestaltet. Das ist natürlich einerseits ein Jammer, aber andererseits kann man, mal positiv gedacht, auch dankbar sein, dass es einem glatt erspart geblieben ist, bei der „Es ist genug“-Arie heulend vom Stuhl zu rutschen. Und was genützt hat das Ganze übrigens trotzdem: Als wir nach dem Konzert die schützende Höhle verlassen, hat irgendwer es draußen nämlich doch noch regnen lassen. Und wie!

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