Zahle 30 Dollar, erhalte eine Auftragskomposition

ULTRASCHALL-FESTIVAL Johannes Kreidler lässt Kunst in Billiglohnländern produzieren – und zeigt das Ergebnis in der Volksbühne

Inszenierter Protest aus dem Publikum: „Das sind doch nicht deine Kompositionen“

Was kosten zehn Minuten europäische Hochkultur made in China? Wie viel Geld muss ein Komponist auf den Tisch legen, um sich mit Hilfe eines indischen Audioprogrammierers westliche Avantgardemusik komponieren zu lassen? Outsourcing in Billiglohnländer ist allgegenwärtig, längst wird die Herstellung verschiedenster Waren in Entwicklungs- und Schwellenländer verlagert.

Der Komponist und Konzeptkünstler Johannes Kreidler brachte diesen Prozess am vergangenen Dienstag eins zu eins auf die Bühne: Er präsentierte den Besuchern des Ultraschall-Festivals in der Volksbühne, wie man sich auch in der europäischen Hochkultur diese Praktiken zunutze machen kann. Zahle 30 Dollar, erhalte eine Auftragskomposition!

Diese „Fremdarbeit“ – so der Titel des Programms – gab es nun in der Volksbühne zu hören. In weißem Jackett, mit hellen spitzen Lederschuhen moderierte Kreidler in der Rolle des Neoliberalen den „Konzertabend“. Erst wurden zwei Aufnahmen seiner eigenen Kompositionen gespielt, die er für sein Vorhaben nach China und Indien geschickt hatte: westliche Avantgarde mit zahlreichen Popmusik-Samples. Dann wurden die darauf basierenden Stilkopien vom Ensemble Mosaik live interpretiert.

Der Ausgangspunkt für Kreidlers Aktion ist ein Kompositionsauftrag, den er im Jahr 2009 erhielt: 1.500 Euro für eine Komposition. Warum sich selbst die Mühe machen, wenn es Billiglohnländer gibt? In China wurde Kreidler fündig: Er stieß auf einen Komponisten – wohlgemerkt mit abgeschlossenem Hochschulstudium –, der schon für 10 Dollar individualisierte Kompositionen liefert. Normalerweise zählen zu dessen Auftraggebern vorwiegend US-Amerikaner, die Musik für Hochzeiten oder Beerdigungen bestellen.

Kreidler schickte ihm zwei Aufnahmen seiner eigenen avantgardistischen Stücke, mit dem Auftrag, diese zu plagiieren. Für 30 Dollar erhielt Kreidler seine Komposition. Das Beste: Es blieb seine Komposition, denn die Urheberrechte waren gleich inklusive. Damit aber nicht genug: Wie wäre es außerdem, eine Software programmieren zu lassen, die den Kompositionsvorgang komplett übernimmt? Mit Hilfe des Auswärtigen Amtes gelang es Kreidler, einen indischen Audioprogrammierer zu kontaktieren, der hervorragende Referenzen vorzuweisen hat: einschlägige Berufserfahrung in Deutschland. Nachdem er jedoch seinen Job hierzulande verlor, musste er wieder gehen.

Kreidler schickte auch ihm zwei seiner Kompositionen; die Programmierung der Software kostete ihn 15 Dollar. Mit diesem Konzept thematisiert Kreidler nicht nur die Ausbeutung von Billiglohnländern sowie die ungleiche Verteilung innerhalb der globalisierten Wertschöpfungskette, sondern stellte auch die Frage nach der Autorenschaft und dem Urheberrecht. Durch den vereinbarten Buy-out-Vertrag – den Abtritt aller Rechte – erhielt Kreidler auch die Urheberrechte an den Auftragskompositionen. Dadurch werden die Stücke von der Gema auf seinen Namen gelistet und weiterverwertet.

Kreidler wies als Moderator auf fälschliche Abweichungen von seinen ästhetischen Vorstellungen hin. Aus dem Publikum gab es inszenierten Protest: „Das sind doch gar nicht deine Kompositionen!“ Dazu der „Künstler“: Natürlich seien es seine, er habe sie schließlich bezahlt! Es waren ungewöhnliche Themen für ein Festival „Neuer Musik“. Und es waren wichtige Denkanstöße. MARIE-KRISTIN MEIER

■ Ultraschall-Festival, noch bis 27. Januar, an verschiedenen Orten. www.kulturradio.de/ultraschall