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Wer den Reagan stemmt

VideoKUNST Die Performance-Dokumentationen von Christian Jankowski, der den diesjährigen Finkenwerder Kunstpreis bekommt, sind im Kunsthaus Hamburg zu sehen

von Hajo Schiff

Das große Kino entführt in andere Welten, gleich ob Fiktion oder Dokumentarfilm. Das kann man von den Videos von Christian Jankowski auch sagen. Oft an übliche kommerzielle TV-Formate angelehnt, gibt der frisch mit dem Finkenwerder Kunstpreis beehrte Berliner Künstler und Stuttgarter Kunstprofessor Einblick in spezielle Kulturen und spezialisierte Arbeitsweisen. Deren Regeln und deren Weltverständnis kommen Außenstehenden oft eher skurril vor.

Zu dem mit 20.000 Euro dotierten, von Airbus gesponserten Finkenwerder Kunstpreis gehört eine Ausstellung im Hamburger Kunsthaus. Tritt man dort ein, überfällt einen ein großer Videoscreen. Er ist Teil der Installation „Heavy Weight History“. Dort kann man, begleitet von der gewohnt hektischen Sprache der Sportreporter, etwas ganz Besonderes beobachten: das kollektive Stemmen bronzener Geschichtsdenkmale. Anlass waren die 2013 in Polen ausgetragenen Weltmeisterschaften im Gewichtheben. Die Akteure sind olympische Schwerathleten.

Wie bekommt man diese sonst als Einzelkämpfer agierenden Kraftmenschen dazu, gemeinsam politische Symbole zu stemmen? Und zwar nicht irgendwelche, sondern hier handelt e s sich um polnische Widerstandskämpfer und Nationalsymbole, aber auch Ronald Reagan oder Willy Brandt.

Eins ist klar. Dieser kollektiven Anstrengung geht kollektive Organisation voraus. Christian Jankowski, der das Ganze im Kunsthaus inszeniert, agiert dabei weniger als Regisseur. Vielmehr versteht er sich als Konzeptkünstler, der mit großem Aufwand eine Grundidee verfolgt und dann der Performance ihren Lauf lässt. Denn es gilt, die Mitstreiter nicht vorzuführen, sondern einzubinden. Mehr noch: Sie sollen mit Stolz auf ihre eigenartig sinnlose Kunstaktion zu blicken.

Denn die Vorarbeiten waren mühsam: Jankowski musste das Außenministerium davon überzeugen, dass die Aktion an den politisch aufgeladenen Denkmälern in Warschau nicht die polnisch-deutschen Beziehungen belasten würde. Zudem brauchte der Künstler die Genehmigungen zahlreicher Behörden. Auch musste er sein Team bei der Stange halten und Individualisten überreden, sich gemeinsam an den Manifestationen „schwerer“ Geschichte abzuarbeiten.

Was diese konzeptuelle Performance-Kunst mit den erwähnten Video-Sequenzen verbindet, ist ihre soziale Komponente. Sie sind ausschließlich gemeinsam mit anderen Menschen zu verwirklichen. Und das Ergebnis bleibt ambivalent: Im Kunstkontext ist es Kunst. Aber die Schwerathleten haben den 25-minütigen Film während der Weltmeisterschaft auch als Werbung für sich selbst gezeigt. Das ist ein typischer „Jan­kowski-Effekt“: Seine Projekte dienen der medialen Selbstreflexion, funktionieren aber auch als Kunstaktion und als kritische Spiegelung des Kunstsystems.

Eine Motivation für seine Arbeit war für den 1968 in Göttingen geborenen Künstler die Frage nach seiner eigenen Berufswahl. Dabei geht es ja nicht nur um die pure Beschäftigung, sondern auch um die mit dem Beruf verbundene Weltsicht: Künstler oder Banker sind nicht Optionen für einige Stunden, solche Positionen bedeuten entgegengesetzte Lebenswelten.

Deren Grenzen bricht Christian Jankowski immer wieder auf. Im schweizerischen Biel gibt es eine schon zwölfmal abgehaltene nationale Ausstellung von Plastik im Außenraum. Christian Jankowski hat 2014 den Schweizer Nationaltrainer im Kunsturnen gebeten, zu 14 der dortigen Skulpturen spezielle Fitness-Übungen zu entwickeln, damit die im Grünen herumstehenden Figuren auch mal zu was Praktischem gut sind. Auch dies eine doppelbödige Ironisierung des Kunstbetriebs.

Ohne direkt zu politischen Statements zu kommen, interessiert sich Christian Jankowski zudem immer wieder für die Verwendung von Kunst im sozialen und politischen Feld. So zeigt eine Fotoserie die oft seltsamen Staatsgeschenke an die deutsche Kanzlerin und ihre Vorgänger. Dass diese Schwarzweiß-Fotos direkt neben dem Video der aktuellen Preisverleihung im Airbus-Werk hängen, ist kein Zufall: Jankowski hat die Preisverleihung auf Video mitgeschnitten und selbst zum Artefakt gemacht.

Jankowski verfolgt eine Grundidee und lässt dann der Performance ihren Lauf

Eine vom Künstler selbst bestellte Rede eines Kunstberaters versucht den Airbus-Leuten eine eigene Sammlung vorzustellen, deren erstes Objekt der Film über diese Preisverleihung ist. Dass der Film zudem im werkseigenen Intranet auf etlichen Monitoren laufen wird, zeigt, wie gut Jankowski die vorhandenen Strukturen für seine Arbeit zu nutzen weiß.

Manchmal ist es aber auch der Zufall, der Kunst und Politik zusammenbringt. „Ungläubiges Glück“, die größte Installation im Kunsthaus, ist so einem Fall gewidmet: Der 9. November 1989 ist der Tag, an dem die Hamburger Deichtorhallen mit der Schau „Einleuchten“ von Harald Szeemann eingeweiht wurden. Mit dem Sektglas in der Hand hörten die Besucher am gleichen Abend vom Mauerfall in Berlin.

Zum 25. Jubiläum hat Christian Jankowski Hamburger Prominenz im Keller der noch nicht fertig renovierten Deich­torhalle mit grünstichiger Nachtsichtkamera zum Moment der Maueröffnung befragt – stets die Argumentation zum Mauerfall durch die der Museumseröffnung ersetzend: Das Ganze ist auf drei Kanälen zu sehen – von einem Hochstand aus, der der Aussichtsplattform am einstigen Berliner Grenzübergang „Checkpoint Charlie“ nachgebaut ist. Im November 2014 stand er noch vor der Grenze des noch bestehenden Bauzauns. Ursprünglich nur für die Jubiläumsnacht gedacht, bekommt die Jankowski-Arbeit in der Ausstellungshalle nun einen allgemeineren Kontext.

Eine ganz neue Dimension bekommen die Konzepte von Christian Jankowski zudem, seit er zum Chef-Kurator der Wanderbiennale „Manifesta“ ernannt wurde. Nächstes Jahr in Zürich wird er alle eingeladenen Künstler in Kontakt mit anderen sozialen Praxisfeldern bringen. Von der Zahnärzte-Kammer bis zu den Klärwerksarbeitern wird mithilfe vieler Kooperationen Kunst entstehen. Ihr Ziel: die elitären oder abgehängten, die demonstrativen oder vergessenen Subgruppen der Gesellschaft sichtbar zu machen, Kunst an deren Orte und deren Weltsicht in den Ausstellungsraum zu bringen.

Christian Jankowski – Überbelieferte Kunstgeschichte: bis 23. August, Kunsthaus Hamburg

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