Bizarre Sportler-Dokumentation: Aufstieg und Fall eines Linkshänders

In der Dokumentation „Fallwurf Böhme“ erzählt Heinz Brinkmann die merkwürdige Geschichte des Spitzenhandballers Wolfgang Böhme.

Wie ist es möglich, dass bei einigen, also genetisch identischen Zwillingen der eine Rechts- und der andere Linkshänder wird? Auf diese Frage bleibt der Filmemacher Heinz Brinkmann die Antwort schuldig. Dabei ist es dieser kleine Unterschied, der aus Wolfgang Böhme einen der Stars des DDR-Sports werden ließ, während sein Zwillingsbruder Matthias ein so ereignisarmes Leben führte, dass es im Film kaum ein paar Sätze wert ist.

Wolfgang war der Linkshänder, und dies fiel im Sportunterricht früh auf. Denn beim Handball ist die Präferenz der linken Hand ein Vorteil, weil die rechtshändigen Gegenspieler sie schlecht parieren können. So wurde er, anders als sein Bruder, gefördert, kam mit 13 Jahren in ein Sportinternat, entwickelte einen beträchtlichen Ehrgeiz und so etwas wie Abenteuerlust. Er wurde einer der erfolgreichsten Handballer seines Landes, spielte und lebte lange in Rostock und wurde von den Funktionären zuerst hofiert – und dann fallengelassen.

Der Filmemacher Heinz Brinkmann erzählt dies aus einer seltsam halbherzig subjektiven Perspektive. Wie die Gebrüder Böhme ist auch er in Heringsdorf auf Usedom aufgewachsen, und so spricht er im Off in der Ich-Form, bereichert den Film dadurch aber kaum, denn abgesehen von ein paar Bemerkungen darüber, wie er den Sportler damals bewunderte und wie extrem sich dessen Lebenshorizont von seinem unterschied, ist sein Kommentar kaum von einem der üblichen, vermeintlich objektiven Erzähltexte zu unterscheiden.

Ähnlich bemüht wirken auch eingestreute Zeichentrick-Sequenzen, in denen berühmte Linkshänder wie Albert Einstein, Goethe, Napoleon oder Paul McCartney in kleinen, eher albernen als komischen Karikaturen vorgeführt werden.

Doch abgesehen davon erzählt Brinkmann eine Lebensgeschichte, die zugleich exemplarisch und außergewöhnlich ist. Ihm gelingen interessante Einblicke – auch, weil das Leben von Wolfgang Böhme so gut dokumentiert ist. Schon sehr früh stand er in der Öffentlichkeit.

Als Zehnjähriger waren er und sein Bruder Hauptdarsteller in dem DEFA-Film „Die Jagd nach dem Stiefel“, einer damals sehr erfolgreichen Mischung aus Propaganda und „Emil und die Detektive“. Die Helden sind Kinder, die im Jahr 1932 den Mord von SA-Schergen an einem KPD-Journalisten aufklären. Die Böhme-Brüder traten nicht etwa als Zwillinge auf, aber konnten sich in einer der Hauptrollen abwechseln, sodass trotz der Schutzbestimmungen für Kinderdarsteller längere Drehzeiten möglich waren.

Als 13-Jähriger ging Böhme auf die Kinder- und Jugendsportschule in Rostock und begann ab 1969 Tagebücher zu schreiben. Brinkmann ist so klug, aus dieser Quelle ausführlich zu zitieren, denn Böhm schrieb damals genau auf, was ihn interessierte, wie er sich selber einschätzte und wie er auf andere Menschen wirkte.

So hörte er leidenschaftlich „Radio Luxemburg“, bekam zu Hause Ärger wegen der „Bumsmusik“, machte Listen von seinen – durchweg westlichen – Lieblingsmusikern und darüber, wie er Platten von den Byrds oder Joe Cocker bekam. Nach dem Abschluss ging er zur Handelsmarine und reiste nach Kuba, wo er sich „mit Südfrüchten vollfraß“.

Danach begann für ihn eine außergewöhnliche Karriere, während der er Kapitän der Handballnationalmannschaft wurde, bei den Olympischen Spielen in München spielte und bei vielen Turnieren gegen Spieler aus der BRD antrat. Ein wenig bastelt Brinkmann hier einen filmischen Starschnitt zusammen, mit vielen Kommentaren von Mitspielern aus Ost und West, die erzählen, was für ein Ausnahmetalent Böhme war.

Aber es wird auch aus Stasi-Überwachungsprotokollen zitiert und davon erzählt, wie selbstverständlich es für Böhme und seine Teamkollegen war, leistungssteigernde Medikamente zu nehmen. Auf Turnieren feierte er mit Kollegen aus dem Westen, lehnte Abwerbeversuche zwar ab, war aber in Gesprächen und Briefen sehr offen. Ein Satz wie „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Briefe von denen gelesen wurden“ zeigt, wie naiv Böhmes Vorstellungen von den Verhältnissen in seinem Heimatland waren.

Ein paar unbedachte Sätze in einem Liebesbrief reichten, damit er 1980 kurz vor Olympia in Moskau als „Reisekader“ gesperrt wurde. Damit war seine internationale Karriere beendet. Danach begann der Abstieg: Jeder Kontakt zu seinen Mitspielern wurde verhindert und schließlich arbeitete er als Türsteher in einer Disco. Nun war ihm sein Bruder Matthias plötzlich voraus, denn der war ausgereist und in die Schweiz gezogen.

Nach einiger Zeit folgte Wolfgang ihm und inzwischen sehen sich die beiden wieder so ähnlich, dass selbst die Tochter manchmal den Vater nicht vom Onkel unterscheiden kann. Und nachdem sie viele Jahre so unterschiedlich gelebt haben, bestätigen sie als 65-Jährige dann doch die verbreitete These von den oft frappierend ähnlichen Lebenswegen eineiiger Zwillinge. Beide waren dreimal verheiratet, haben drei Kinder und arbeiteten als Sportlehrer.

Brinkmann erzählt hier nicht die schlichte Geschichte von der bösen Stasi und den parteitreuen Funktionären, die die Karriere des rebellischen Sportlers zerstörten. Wolfgang Böhme stolperte auch über die eigene Hybris – und das macht diesen Film um vieles komplexer und interessanter.

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