Radeln mit Schläger und Tunnelblick: „Wir nennen es Hipster-Hockey“

Einst olympische Disziplin, heute rauer Straßensport: Bikepolo erobert die Metropolen. In Hamburg trainieren die Spieler mit Bier.

Ohne Pferdeäpfel und Elite: Bikepolo-Spieler kämpfen auf Fahrrädern um den Ball. Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Andy schnallt die Knieschoner noch ein wenig fester ums Bein. „Legen wir los?“, fragt er in die Runde. Ein letzter prüfender Blick aufs Fahrrad, dann rasen sechs junge Männer durch die Radarena Stellingen. Die linke Hand umfasst den Lenker, die Rechte den Schläger, Tunnelblick. Ziel ist der kleine Hockeyball in der Mitte. Der soll ins gegnerische Tor. Das Spiel ist schnell, allein das Zuschauen erfordert Konzentration. Reifen quietschen, Räder blockieren, Schläger klacken gegeneinander. Aus einer Musikanlage neben dem Spielfeld dröhnt Hip-Hop. So schnell wie es begann, ist das Bikepolo-Spiel wieder vorbei, nach einer Viertelstunde ertönt der Abpfiff.

Polo? Das erinnert an adlige Reiter auf edlen Pferden, Tradition und den Hauch des Exklusiven. Auch Bikepolo ist kein Breitensport, die Szene in Deutschland ist überschaubar. Mit Gutsherren-Dünkel hat die Radsportvariante nichts zu tun. Im Gegenteil: Wenn klassisches Polo ein Elitesport ist, dann ist Bikepolo so etwas wie dessen Antithese.

Auf Etikette legen die Spieler vom Verein „Bikepolo Hamburg“ jedenfalls keinen Wert. Vor dem Training wird erst einmal ein Sechserpack Bier ausgeteilt und geklönt, während einige Spieler noch an ihren Fahrrädern schrauben, die mit bunten Stickern beklebt sind. Bikepolo sei dem Hockey ohnehin viel näher als dem Pferdesport, findet Andy, der seit vier Jahren beim Verein dabei ist. „'Hipster-Hockey‘ nennen wir‘s auch“, sagt er und schmunzelt. Ein Seitenhieb auf das trendige Image des Sports: Bikepolo gilt als szenig und alternativ, Tattoos und Bärte als Grundausstattung der Spieler.

Andy gibt nicht viel auf Stereotype. Für ihn steht der Spaß im Vordergrund. „Wir sind offen für alle. Hier spielen Ärzte, Studenten, Schauspieler zusammen“, sagt er. „Wichtig ist uns nur Fair Play und Respekt im Umgang.“ 15 aktive Mitglieder zählt der Verein, eine Trennung nach Alter oder Geschlecht gibt es nicht. 20-Jährige spielen gegen 50-Jährige, auch zwei Frauen sind in den Hamburger Teams vertreten.

Die Regeln beim Bikepolo variieren je nach Region, das Grundprinzip ist schnell erklärt: Zwei Teams mit je drei Spielern treten gegeneinander an, die Tore sind etwa eine Fahrradlänge breit. Gewonnen hat, wer zuerst fünf Tore schießt oder nach Ablauf der Zeit, meist 15 Minuten, führt. Wenn Spieler stürzen oder ineinander krachen, sieht der Sport zuweilen brutal aus: Doch wer hier wen berühren darf, wird im Regelset klar definiert. Körper gegen Körper, Rad an Rad, Schläger gegen Schläger ist erlaubt. Dem Gegner den Schläger zwischen die Speichen zu schieben, ist verboten.

Schläger zwischen die Speichen ist verboten

Seit 2009 wird in Hamburg Bikepolo gespielt. Anfangs seien sie zwei, drei Leute gewesen, die sich da auf leeren Parkplätzen irgendwo in der Stadt trafen, erzählt Andy. Meist spontan, immer informell. Wichtig sei eine trockene und ebene Fläche, viel Equipment brauche man fürs Spiel nicht. Einen Streethockeyball, ein Rad und Schläger. Die können zur Not selbst zusammengeschustert werden, aus Skistöcken oder Rohren, alles eine Frage der Improvisation. Diese „Do It Yourself“-Mentalität prägt den Hamburger Verein noch immer, auch wenn die Spieler heute mit speziell angefertigten Schlägern in der Arena stehen. Trikots werden selbst designt, wer kein passendes Rad mitbringt, bekommt eines vom Verein gestellt – die meisten fahren Mountainbike.

Die Hamburger sind wie viele Bikepolo-Fans durch Internetvideos aus den USA auf den Sport aufmerksam geworden. Der Legende nach sollen Fahrradkuriere aus Seattle das Spiel Anfang der 2000er erfunden haben, um sich in Arbeitspausen die Zeit zu vertreiben. „Das sah einfach wild aus, diese Kombination aus Ballsport und Radfahren“, sagt Andy.

Dabei reicht die Tradition des Nischensports sehr viel weiter zurück: Ende des 19. Jahrhunderts wurde das erste Match in Irland ausgetragen, 1908 war Radpolo olympische Disziplin, geriet dann aber in Vergessenheit. Heute wird Bikepolo in über 30 Ländern gespielt und findet vor allem in urbanen Räumen viele Anhänger. Seit 2009 werden Weltmeisterschaften ausgetragen, zur WM 2010 kamen hunderte Teams aus der ganzen Welt nach Berlin.

Die Parkplatzära ist in Hamburg vorbei. Zweimal die Woche trainieren die Teams – im Sommer auf einem Sportplatz in Halstenbek, im Winter und bei Regen in der Radarena. Mal kommen mehr, mal weniger Spieler dazu. „Das variiert, je nach Bierlaune“, erklärt Daniel, der neben dem Sport als Flugzeugbauer arbeitet. „Wir sind ja keine Profis und nebenher berufstätig, das sehen wir nicht so eng.“ Leistungsdruck und Vereinsmeierei sind den Bikepolo-Spielern fremd.

Zur Vereinsgründung wurde ein Vorstand gewählt, ansonsten verzichtet man auf Hierarchien. Dass kein großer Dachverband über dem Verein steht, finden die Jungs gut. „Da schreibt uns keiner vor, wie wir zu spielen haben“, sagt Andy. Die Spieler kommunizieren über WhatsApp oder Facebook. Die Finanzierung trägt der Verein bisher allein durch Mitgliedsbeiträge. Sponsoring wird trotzdem nicht kategorisch ausgeschlossen: „Aber zu Werbeträgern für irgendwelche Konzerne lassen wir uns nicht machen, das muss schon zu uns passen“, sagt Andy. „Das ist hier non-commercial Polo – und das soll es auch bleiben.“

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